„Die Hose auch noch?”
Augenblicklich griff Ezarel nach Emils Finger, bevor diese den Bund der Hose lösen konnten. „Ich denke, ich habe mehr als genug gesehen.“ Allein bei der Vorstellung hörte Ezarel in seinem Kopf schon einen Elefanten tröten.
Dennoch kam er nicht umhin, stoisch auf die flache Brust und die schmalen Hüften vor seiner Nase zu starren. Das sah alles deutlich anders aus als das, was er beim Baden vor dem Paravent gesehen hatte. Selbst im seichten Schein der Kerze bestand da kein Zweifel oder Spielraum für irgendwelche Interpretationen. Vor ihm stand kein Mädchen, sondern ein Junge. Offenkundig.
Und das war es wohl auch, was Emil ihm beweisen wollte - auf seine rabiate ‚Show-don’t-tell‘-Art.
Wobei Ezarel in diesem Fall einen Spoiler oder zumindest eine Vorwarnung bevorzugt hätte. Nicht, dass es nicht genug Hinweise gegeben hätte – wie ihm langsam immer klarer wurde.
Doch der Zaunpfahl, der nun mit grober Gewalt auf ihn einschlug, war wirklich nicht zu übersehen.
Natürlich hätte Emil auch von einem Geschlechtswandlungstrank Gebrauch machen können, aber mal abgesehen davon, dass man dafür einen Spezialisten – oder in Ezarels Fall einen unsäglichen Pechvogel – benötigt hätte, um einen Trank dieser Güteklasse zu brauen, war das Geschlecht nicht der einzige Hinweis.
Die Haltung, die Stimme und die Tatsache, dass nicht ein Funken Scham Emils Wangen zierte, während er sich mit freiem Oberkörper am Haar kratzte, waren ein unzweifelhaftes Zeugnis: vor dem Elfen stand definitiv nicht Em…
Ezarel fuhr sich langsam über seine schweißnasse Stirn.
Wieso war ihm das die ganze Zeit nicht aufgefallen?
Wie konnte er überhaupt so blind gewesen sein?
War er von seinem eigenen Frust derart geblendet, dass er das Offensichtliche so lange ignorieren konnte?
Zumindest ergab der ganze Spuk endlich einen Sinn!
Mehr oder minder.
Halb erschöpft, halb erleichtert sackte Ezarel in sich zusammen. Es kam ihm zugute, dass er bereits auf dem Boden saß.
„Du bist echt noch verrückter als ich dachte“, murmelte Emil und ließ sich dann neben ihn auf den Boden sinken.
„Das Kompliment gebe ich gern zurück.“
„Auf so einen Stress brauch ich erstmal was zu knabbern. Wie steht’s mit dir?“
„Mach, was du willst“, erwiderte der Elf in lethargischem Ton. Inzwischen war doch eh alles egal.
Emil piekste ihm jedoch unumwunden in die Schulter. „Hattest du mir nicht Nachtisch versprochen?“
Ezarel seufzte.
Er hatte nicht den leisesten Schimmer, was er mit dem kleinen Monster machen sollte – nun, wo er nicht die geringste Verwendung für ihn hatte.
Außerdem hatte er echt andere Sorgen. Ohne Em konnte die Seelentransfusion nicht durchgeführt werden. Das hieß auch, dass er Sukie und Brünhild erklären musste, dass Em weg war und man sie erst suchen – vielleicht sogar befreien - müsste. Ob der Sukkubus so lange zu besänftigen oder überhaupt zu ertragen war, stand auf einem ganz anderen Blatt. Dann war da noch Nevra, der sein Geheimnis wusste, Valkyon, der mit einem blonden Teufel durch die Wälder streifte und jetzt auch noch Emil 2.0 - ein verfressener Terrorist, dem Ezarel zutraute, ihm wortwörtlich die Haare vom Kopf zu futtern. Mal abgesehen von der Bestie, die noch immer ganz Eel in Chaos versetzte und gegen die der beste Alchemist Eldaryas völlig machtlos war, da ihm das nötige Pflänzchen zum Schutz der Dörfer fehlte.
Es brannte buchstäblich an allen Ecken.
Verzweifelt barg Ezarel sein Gesicht zwischen den Händen.
Vielleicht sollte er ausreißen, irgendwohin gehen und warten, bis er sich wieder zurückverwandelt hatte. Ein Fleckchen auf dem Land vielleicht. Hauptsache ein Ort, fern ab dieses Chaos, wo er ungestört seiner Alchemie nachgehen konnte.
Hatte seine Mutter sich nicht immer so ein Leben für ihn gewünscht?
Wenn es nach ihr ginge, sollte Ezarel eine nette Ehefrau finden und das Kräutergeschäft ihrer Familie übernehmen.
Ezarel schielte auf die Hügel unter seinen Schlüsselbeinen.
Ob seine Mutter auch mit einem netten Ehemann zufrieden wäre?
Seine Lippe begann zu bluten, so fest hatten sich seine Zähne dort hineingebohrt. Manchmal gingen Ezarel echt seine eigenen Scherze zu weit. Er wollte weder zu dem zurück, was sich Familie schimpfte, noch sein Leben an so etwas Langweiliges wie eine Ehe verschwenden. Allerdings war die Alternative hier noch viel beschissener. „Verdammter Moogliz-Käse!“
„Den nehm ich im Zweifel auch“, murmelte Emil.
Ezarel fluchte. „Warum zum Owlett denkst du eigentlich immer nur ans Essen? Hast du keine anderen Probleme? Du kannst gehen, falls du das immer noch nicht verstanden hast.“
Es war ihm schleierhaft, warum der Knirps überhaupt noch an seiner Backe klebte.
Allerdings schien es nicht so, als ob Emil ihm zugehört hätte, denn er begann aufgeregt seine Taschen abzutasten. „Stimmt. Fast vergessen. Ich glaub, ich habe selbst noch was. Irgendwo hier…“ Mit diesen Worten pulte er ein paar Krümel aus seiner Hosentasche und steckte sich diese in den Mund.
Ezarel spielte mit dem Gedanken, den Jungen rausschmeißen, bis ihn ein fein süßlicher Geruch aus den Tiefen seiner Fluchtphantasien holte und sein Interesse doch auf das Knabberzeug lenkte, was Emil da aus allen Ecken seiner Kleidung zusammensammelte.
„Ich würde dir ja was anbieten“, Emil zog zwei gebrochene Chips aus der Tasche und stopfte sie ebenfalls zwischen seine Backen, „aber ich glaub, die sind dir zu scharf.“
Der Appetit war Ezarel schon lange vergangen, doch als er die puterrote Farbe erkannte, zog er Emil unumwunden einen halben Chip aus dem Mundwinkel. Bei der Berührung fluchte er jedoch und ließ das flimmernde Stück fallen.
„Scharf und heiß“, ergänzte Emil.
Obwohl diese Aussage den Tatsachen entsprach, ignorierte der Elf das Brennen und hob das zu Boden gefallene Stück vorsichtig zwischen seinen Nägeln geklemmt an, um es ins Licht zu halten. Ein flüchtiger Blick genügte seinem geschulten Auge, bevor er sich erneut verbrennen konnte. „Das sind Blüten von Asbest-Röschen! Wie…?! …Wo hast du die her?“
„Gefunden“, Emil schluckte den Bissen hinunter, ehe er nach der nächsten Ladung griff. „Keine Ahnung, wie die heißen, aber wenn man die Blüten über der offenen Flamme grillt, werden sie schön kross und scharf. Erinnert mich ein bisschen an Ente süß-sauer.“
Bevor Emil jedoch dazu kam, sich die nächste Portion in den Mund zu stopfen, hielt Ezarel sein Handgelenk fest. Heißer als der Chip war nur die Sicherung, die gerade in seinem Kopf durchbrannte. „Sag mal, hast du auch nur die leiseste Ahnung, wie kostbar diese Pflanze ist?“
Emil zuckte mit den Schultern. „Die gibt es doch überall im Wald. Nun, vielleicht nicht mehr überall. Die schmecken echt klasse.“
Ezarel zählte langsam mental bis vier, weil er bis zehn einfach keinen Nerv hatte. Dieses kleine Monster hatte nicht ernsthaft die Vorkommen im Wald weggemampft, während er sich mit einer Dryade im Wald um ein lausiges Exemplar gezankt hatte.
Allein das Geräusch von Emils kauendem Kiefer, der in völliger Arglosigkeit bares Maana in sich hineinfutterte wie frisch gepopptes Candycorn, ließ Ezarel in milden Mordphantasien abdriften. Doch Rache oder Tyrannei half ihm bei diesem Spezialfall hier nicht weiter.
Zumal der Junge scheinbar auch noch wusste, wo man Asbest-Röschen finden konnte. Und die würde er ihm weder freiwillig überlassen, noch unter Androhung von Gewalt aushändigen. So viel hatte Ezarel inzwischen über den Knirps gelernt. Emil war da leider ein völlig anderes Kaliber, das nach Ezarels Wissen bislang nur eine einzige Schwachstelle besaß.
„Vielleicht“, gestand der Elf und biss sich dabei widerwillig auf die Unterlippe – die gleiche Stelle, die sofort wieder zu bluten begann. „habe ich deinen Meister doch gesehen. Sein grimmiger Blick kommt mir gerade in den Sinn, wo ich dich so anschaue.“
„Echt? Ich dafte, du hätteft ihn nich erkennen können. Meinft du, du könneft ihn befreiben?“, fragte Emil und schluckte.
„Mein Wissen sollte genügen, ihn ausfindig zu machen“, Ezarel konnte selbst nicht glauben, wie knietief er inzwischen gesunken war.
War das die Vernunft, nach der er immer gestrebt hatte?
Allerdings war er längst an einem Punkt angekommen, wo er auch drastischere Maßnahmen in Erwägung ziehen musste. Und wenn es ein Deal mit diesem kleinen Teufel hier war.
„Ich biete dir an, deinen Meister zu finden, wenn du mir die Asbest-Röschen beschaffst.“
So jetzt war es ausgesprochen.
Jetzt gab es kein Zurück. Doch es würde nicht für lange sein, das schwor sich Ezarel. Vielleicht konnte Emil so lange die Fassade für Sukie aufrechterhalten, bis Em wieder aufgetaucht war oder er sie gegen diesen Knirps hier eintauschen konnte.
Emil grinste und hielt ihm dann seine verklebte Hand vor die Nase, als müsste dieser Pakt auf Schweiß und Spucke besiegelt werden.
Doch so gern Ezarel das Kapitel Emil auch beenden wollte. Ihn beschlich das grausige Gefühl, dass es gerade erst begonnen hatte.
Berauschend und wundervoll – ich hoffe, der Repost ist in Ordnung, sonst schreib mich an, Ely. In jedem Fall noch mal tausend Dank für das großartige Stück Eigenkomposition!
Chapter III endet nun und Chapter IV folgt am nächsten Sonntag.
Fortan gibt es einen Post pro Woche, da ich mit dem Chapter noch nicht fertig bin und hin und wieder was anpassen muss.
Für diejenigen, die die alte Story kennen, ein Hinweis: Ich habe einen Teil der alten Parts beim Brand und an Datei-Schnipseln, die ich nicht mehr alle zusammenfinden konnte,… - Gott, ich sags, wie es ist… ich habs verloren.
(Ist schade und dumm, aber nicht zu ändern) Ich hatte schon gigantisches Glück, dass die ersten Chapter von einer anderen Person gespeichert worden sind.
Ich habe daher beschlossen, dass ich das Chapter IV komplett neu schreibe (mit manchem war ich eh unzufrieden). Bis auf maximal eine Szene, wird daher nun alles neu sein.
Das folgende Chapter IV heißt nun „Emil & Emilia“.
(Es ist aber auch nicht schlimm, wenn ihr euch an den alten Kram mit Miiko noch erinnert. Stellt euch vor, dass die Szenen von Miiko immer noch so passieren. Ich werde manches aufgreifen – nur eben nicht ausführlich, weil sie nicht im Fokus steht.)