Liebe Ama, wieder pünktlich wie immer den Part hochgeladen. Wir nähern uns im Schneckentempo meinem lieben Chrom an - gut so etwas Zoff mit der Führungsriege und dem Gardisten, wie im wahren Leben. So kann ich doch noch einige Zeit die Story genießen, obwohl ich ja mit Em schon gefiebert habe. Muss ich halt noch warten. Und dieses Ende ist ja für deinen Schreibstil total ungewöhnlich. Bin sehr gespannt und überzeugt du bleibst Dir treu. Danke für Deine Mühe!! Sakura
#77 Am 20.05.2022 um 10.37 Uhr
Bei der Stimme dachte ich ja, es ist vielleicht er Gefährte...auch wenn ich dann dachte, dass ein Gefährte ja eher weniger redet, oder sich in die Köpfe von Menschen "hacken" kann. XD Aber he...es muss ja kein gewöhnlicher Gefährte sein, wenn er da bei so nem komischen Kautz war. :D
Also wenn das Monster diese Lif nicht fressen wollte, hätte ich sie eigenhändig erwürgt. So jemand dürfte sich nicht mehr trauen blicken zu lassen. D: XD
...und jetzt stelle ich mir vor, wie ein anderer den Raum betritt und Askir mit irgendwas (in meiner Vorstellung ein Rapier XD ) bedroht... so als Klischee halt. XD
oder gleich durch den Hals bohrt...ein Maul weniger zu stopfen...dann kann Emil mehr essen, der Fresssack. :D
#78 Am 22.05.2022 um 22.05 Uhr
Emil wusste, dass er als blinder Junge vom Dorf bisher sehr weit hinter dem Mond gelebt hatte, doch die Atmosphäre, die sich nun zwischen ihm und seinem Gegner aufmachte, war ihm nicht nur vollkommen fremd, sondern auch irgendwie unheimlich.
Er musste daher Askirs Absichten nicht einmal verstehen, um zu wissen, dass er so schnell wie möglich von hier zu verschwinden sollte.
Im Idealfall ohne eine Prügelei zu riskieren, denn Askir machte nicht den Eindruck, als würde er sich heute mit einem einfachen Schlagabtausch zufriedengeben.
Doch eingekeilt zwischen dem Reptilmann und dem mit Scherben übersäten Boden sah Emil nicht viele Möglichkeiten, sich loszureißen.
Und kaum waren sie allein, presste Askir auch noch sein Knie auf Emils Steiß, wodurch er seine Bewegungsfreiheit noch weiter einschränkte.
„Wie wäre es, wenn du mir sagst, was ich wissen will und ich mache das auf die sanfte Art?”, unterbreitete Askir sein Angebot.
Emil schluckte.
Der unerwartet schmierige Klang in Askirs Stimme triggerte einen heftigen Würgereiz in ihm. Emil hätte nie gedacht, dass ihm je etwas so den Appetit verderben könnte, doch im Augenblick war er froh, dass er noch nicht gegessen hatte.
Anstelle einer Antwort wandte er daher nur das Gesicht ab.
Askir verstärkte jedoch den Griff und zog Emils Kopf an den Haaren wieder zu sich nach hinten. „Überleg dir das gut, Kleiner. Ich habe gehört, wie die Küchenhilfen deine Backfähigkeiten lobten. Man könnte also sagen, dass du in der Hand hast, was ich heute von dir vernasche.”
Seine lange Zunge schleckte dabei über Emils Nacken bis hinunter zu seinen Schulterblättern.
Emils Nackenhaare stellten sich auf, denn es fühlte sich an, als kreuchten ihm ein Dutzend Nacktschnecken unter das Hemd.
Wollte dieser Typ ihn etwa fressen?
Vielleicht war Prügel doch die bessere Option.
Nein, Emil schüttelte den Kopf.
Ezarel hatte ihm erklärt, wie das hier lief.
Der Kerl wollte ihn sicher nur provozieren, damit es zum Kampf kam und er sich vor Miiko als Opfer darstellen konnte. Und selbst wenn er einen Kampf mit Askir überleben würde… Ezarel würde Emil dafür selbst zur Schnecke machen. Schließlich gefährdete es auch Ezarels Ansehen als Leiter der Absynthgarde, wenn sein Rekrut in eine Schlägerei verwickelt war.
Emil biss daher die Zähne zusammen und versuchte seinen Arm loszureißen, aber dieser schmerzte so sehr, dass die Reizüberflutung verhinderte, dass er ihn überhaupt bewegen konnte.
Askir lachte. „Du wirkst nicht wie jemand, der sich sonst ziert… Sag doch einfach, dass du kooperierst. Dann sorge ich dafür, dass wir beide Spaß haben.”
„Du kannst mich mal”, platzte es aus Emil heraus.
„Das ist der Plan”, erklärte Askir und schnaubte belustigt. „Kein Grund ungeduldig zu werden.”
Stoff riss unter seiner Kralle und Emil spürte einen kalten Luftzug an seinem Rücken.
Er erwartete, dass Askir ihm die Haut aufreißen und endlich zum Angriff übergehen würde, doch stattdessen fuhr er die Krallen wieder ein, ohne seine Haut zu verletzen. „Du glaubst mir das vielleicht nicht, aber ich kenne unsere Anführer sehr gut, Emil. Nevra wird sich nie nur mit dir zufriedengeben und Ezarel interessiert sich ohnehin nur für sich selbst. Warum kommst du nicht freiwillig auf meine Seite und in mein Bett? Ich kann auch deinen Ruf im Lager verbessern. Im Gegensatz zu den Gardenleitern weiß ich nämlich, wer hier im Lager inzwischen wirklich das Sagen hat.”
Emil knurrte, als Askir mit den Fingern seinen Rücken hinunter tippelte, als wäre er ein Instrument, was sich spielen ließ.
„Du redest nur Müll”, sagte Emil schließlich. „Ich bin ein Junge. Also hör auf mit dem Quatsch. Wenn du dich prügeln willst, dann lass uns rausgehen.“
„Oho“, Askir lachte. „Hast du etwa Sorge, dass Ezarel uns hier drinnen erwischen könnte? Meinst du, es würde ihn aufregen, wenn ich mit seiner Puppe spiele? Sein Gesicht würde ich zu gern sehen…”
„Ezarel interessiert sich nicht für mich”, widersprach Emil. „Also lass uns einfach rausgehen. Das ist eh eine Sache zwischen dir und mir.”
Askir beugte sich erneut zu Emils Ohr vor. „Jetzt redest du aber Müll, kleiner Rekrut. Glaubst du das eigentlich wirklich? Da kennst du Ezarel ja doch viel schlechter als ich dachte.” Er lachte und leckte Emil dann eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich hätte wetten können, Ezarels regenbogenfarbene Haare wären ein offenes Bekenntnis.”
Emil wusste nur zu gut, dass Ezarels bunte Haare auf die Kappe des Fluches gingen.
Ezarel hasste die Farbe und wollte unbedingt seine blauen Haare wiederhaben.
Doch scheinbar hasste Ezarel es noch mehr von Emil geküsst zu werden, denn er lief lieber mit den bunten Haaren herum, als den Zauber von ihm durchbrechen zu lassen.
Emil verstand das nicht wirklich.
Bis zu dem Moment, in dem Askir ihn näher zu sich heranzog und seine Zunge zwischen seine Lippen glitt. Dieses Gefühl trieb Emil gänzlich den Horror über den Rücken.
War es etwa das, was Ezarel fühlte, wenn Emil ihn küsste?
Emil wurde schwindelig vor Ekel und Wut – aber auch vor Scham.
„Wirklich lachhaft, wenn man mal darüber nachdenkt”, surrte Askir weiter. „Ich dachte, dem Vogel liegt etwas an seinem Aussehen. Doch jetzt sind seine Haare so knallig als wäre er in ein Fass bunter Wachholderbeeren gefallen. Also ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich kriege davon Augenschmerzen!”
Langsam blies Emil bei diesen Worten die Luft aus seinen Lungen, doch es half nichts.
Er war zwar blind, aber eine Farbe sah er nun so deutlich wie nichts anderes im Moment.
Und zwar Rot.
Während der Kerl über ihm weiter über Ezarel lachte, riss Emil seinen Kopf ein ganzes Stück weit nach hinten. Es knackste, als er dabei Askirs Nase traf. Der Reptilmann jaulte auf und löste für einen Moment seinen Griff.
Emil nutzte die Gelegenheit und hechtete wie eine Robbe ein Stück nach vorn, bis unter den Tisch.
Der Ofen, der den Kessel darüber erhitzte, befand sich nämlich genau unter der Tischmitte. Mit der Hand, die er noch bewegen konnte, zog Emil an der heißen Tür, bis ihm eine Wand dampfender Gase entgegenschlug. Ohne darüber nachzudenken, griff Emil direkt in den Ofen, packte eine Handvoll heiße Kohle und schleuderte diese Askir entgegen, bevor dieser ihn wieder zu greifen bekam.
Wütend und voller Schmerz brüllte der Reptilmann auf, als die Glut ihn traf, doch da hatte Emil schon die nächste Ladung Kohle in der Hand und sprang auf Askir zu, um ihm das heiße Zeug gegen seine widerliche Zunge zu pressen.
Emils Haut absorbiert die Hitze der Glut wie ein Schwamm, was die Wut in ihm aber noch mehr verstärkte.
Askir kam gar nicht dazu, zu einem Schlag anzusetzen, da er sich kaum gegen den Jungen zu verteidigen wusste, der mit den heißen Kohlen in der Hand wieder und wieder auf ihn einschlug, bis schließlich ein paar Schuppen barsten.
„EMIL!“
Emil hörte die Stimme, doch er hielt erst inne, als ihm der Duft der Person, die da plötzlich im Raum stand, mit voller Wucht um die Nase wehte.
Es war nicht Askirs Begleitung.
Schlimmer.
Emil ließ augenblicklich die Kohlen aus der Hand fallen und sackte nach hinten in den Dreck – ein Gemisch aus Asche, Ruß und Scherben.
„Was habe ich dir gesagt, Emil?“, fragte Ezarel mit gepresster Stimmt und trat ein paar Schritte auf ihn zu. „Kann ich dich nicht einmal ein paar Stunden allein lassen, ohne dass du hier alles auf den Kopf stellst?”
Emil schluckte. Er spürte, wie die Wut in ihm abebbte und seine Finger langsam zu brennen begannen. Ihm war klar, dass genau der Fall eingetreten war, den er die ganze Zeit versucht hatte zu vermeiden.
„Der Junge hat mich provoziert”, sagte Askir sofort. Seine Stimme klang fast weinerlich, sein Kiefer geschwollen. Wenn er nur halb so mies aussah wie er sich anhörte, dann bestand für jeden Außenstehenden nicht der geringste Zweifel, dass er hier das Opfer war.
Scheiße!
Emil ballte die Fäuste und senkte den Kopf.
Er hatte sich wirklich benutzen lassen und es wieder nicht geschafft, sich zu kontrollieren.
Diesmal würde Ezarel seinen Kopf gewiss nicht für ihn hinhalten.
Und Askir wusste das genau.
„Ezarel“, beharrte Askir weiter. Er schien nach dessen Arm zu greifen. „Wir sollten das sofort Miiko melden. Er muss bestraft werden.“
Doch Ezarel schlug seine Hand bereits in der Luft weg wie eine lästige Fliege. „Ich spreche gerade mit meinem Rekruten. Also misch dich nicht ein. Das hier ist mein Zelt, was er ramponiert hat und die Strafe dafür werde ich mir ganz sicher nicht nehmen lassen.“
Emil spürte Ezarels Blick auf sich ruhen und schrumpfte noch tiefer in sich zusammen.
Auf der einen Seite war er froh, dass Ezarel zurückgekehrt war, auf der anderen Seite wollte Emil sich am liebsten verstecken.
Nicht weil er Angst vor Ezarel hatte, sondern weil er wütend auf sich selbst war.
Askir grummelte derweil unruhig. „Emil hat mich grundlos angefallen. Ich verlange dafür eine Wiedergutmachung.“
Ezarel drehte sich langsam zu dem Reptilmann um. „Habe ich mich wirklich so unklar ausgedrückt? Ich habe hier etwas Wichtiges zu klären.“
„Aber…“
Eazrels Hand schlug gegen Askirs Brust, bevor dieser weitersprechen konnte und mit einem Mal wurde Ezarels Stimme so finster, dass Emil nicht wusste, ob er diesen Mann wirklich jemals wütend erlebt hatte. „Mach, dass du von hier verschwindest… und ich rate dir, keinen Fuß mehr in dieses Zelt zu setzen. Wie du siehst, ist mein Rekrut derzeit nicht unter Kontrolle… Für deine Sicherheit kann hier im Moment also niemand garantieren.”
Askir schien nicht lange zu überlegen, denn er verließ ohne ein weiteres Wort rückwärts das Zelt.
Dann war es ruhig.
„Ez…“ Emil wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Eine Entschuldigung war sicher nicht genug, aber irgendwo musste er schließlich anfangen. „Es tut mir…“
„Für dich immer noch Ezarel“, unterbrach der Elf und drehte sich dann wieder zu ihm um, als Askirs Schritte draußen abgeklungen waren. „Na los, heb deinen Arm!“
Emil tat wie befohlen, während er nach den richtigen Worten suchte, doch schon im nächsten Moment griff Ezarel ihm unter die Achseln und hob ihn auf den Tisch.
„Zieh die Schuhe aus“, befahl Ezarel weiter und lief durch den Raum, um ein paar Sachen zusammenzusammeln.
Emil war sich nicht sicher, ob das schon Teil der Strafe war oder ob Ezarel zuerst den Schaden begutachten wollte, doch er wusste, dass der Alchemist keine Gegenfragen duldete, wenn er wütend oder konzentriert war. Daher kam Emil jeder Aufforderung nach und hielt vorerst den Mund. Er versuchte selbst dann ruhig zu bleiben, als Ezarel mit einer spitzen Pinzette die kleinen Scherben aus seinem Fuß löste und die Wunden dann vorsichtig ausbrannte. Wobei Letzteres vor allem deshalb eine Herausforderung war, weil es Emil wie irre kitzelte.
„Du bleibst morgen bei mir im Zelt“, sagte Ezarel, als er fertig war und drückte ihm dann einen Stapel Bücher in die Hand. „Das sind die ersten Bände der Reihe ‚Alchemie für Dummys‘. Ich habe mir sie aus dem H.Q. bringen lassen. Ich möchte, dass du die liest.“
„Lesen?“, fragte Emil, als er das Gewicht auf seinem Schoß spürte. Dazu gab es bestimmt keine Verfilmung, oder?
„Ja, alle“, stimmte Ezarel zu. „Vorher wirst du mein Zelt nicht verlassen. Das ist deine Strafe.“
Moment… Emil hob den Kopf, doch da war kein Sarkasmus in Ezarels Stimme.
Nicht einmal Groll.
Emil spürte, wie sich ihm die Luft langsam zuschnürte.
War Ezarel nun etwa so enttäuscht, dass es ihm schon egal war?
„Ich werde hier noch aufräumen“, versprach Emil leise und rutschte vom Tisch, doch Ezarel hielt ihm am Arm zurück. Er berührte dabei Askirs Bisswunde, was Emil zusammenzucken ließ. „Ich habe dir gesagt, geh wegen der Wunde zu Ewelein… und das Aufräumen wird jemand anderes machen.“
„Ich kann das“, beteuerte Emil eisern und lief an ihm vorbei, um den Mob aufzuheben.
Askir war sicherlich widerlich, aber für nutzlos gehalten zu werden, war noch ein viel widerlicheres Gefühl.
„Halte mich nicht für dumm, Emil“, sagte Ezarel und presste dann die Zähne aufeinander. „Ich weiß, was hier passiert ist.“
Emil schnaubte. Starke Worte für einen Mann, der immer noch nicht gemerkt hatte, dass er blind war und mit Büchern nichts anzufangen wusste.
In dem Moment ging erneut der Vorhang des Zeltes auf. Ezarel rief schon ein genervtes „Was?“ in die Richtung, doch als Ykhar nur nervös auf der Stelle hopste, spannte sich sein Körper unwillkürlich an. „Was ist passiert?“
„Flüchtlinge!“, rief Ykhar. „Nev traf sie unterwegs und brachte sie her. Es gab wohl einen Brand in den Wäldern und einige Verletzte. Ewelein schafft das nicht allein. Wir brauchen jede helfende Hand. Und ihr kennt euch doch mit Tränken aus.“
Kommi
Letzte Änderung durch Ama (Am 17.09.2022 um 10.41 Uhr)
#79 Am 29.05.2022 um 19.37 Uhr
Vorsichtig schlich Emil an der Zeltwand der Krankenstation vorbei. Dass es langsam dunkel wurde, merkte er vor allem daran, dass die Sonne schon seit einigen Minuten nicht mehr auf seiner Haut kitzelte.
Doch im Schatten der anbrechenden Nacht hatte er die besten Chancen ungesehen durch das Lager zu laufen und unter einer losen Stelle der Stoffverkleidung durchzukriechen, bevor ihn die Wache am Zelteingang daneben überhaupt entdecken konnte.
Im Inneren des Zeltes angekommen musste er sich deutlich weniger Mühe geben, seine Anwesenheit zu verbergen, denn die Hektik in diesem Raum war vergleichbar mit dem offiziellen Verkaufsstart der neuen Playstation. Dutzende Leute tummelten sich auf den Liegen, Stühlen und Fässern, die man notdürftig zusammengeschoben hatte, um der Masse an Flüchtlingen gerecht zu werden, die dringend Behandlung und Arznei brauchten. Und hier befanden sich nur die Fälle, die schwerwiegende Verletzungen aufwiesen. Draußen vor dem Zeltplatz waren es noch drei Mal so viele.
Es muss ein schweres Feuer gegeben haben, denn die Kleidung der geflohenen Dörfler stank nach verbrannten Haaren und angesengtem Fleisch. Die Erde in ihren Haaren ließ darauf schließen, dass ihre Heimat mitten im Wald gelegen haben musste - ein untypischer und gleichermaßen verheerender Ort für einen plötzlichen Feuerausbruch.
Das Klagen der eintreffenden Flüchtlinge hatte Emil selbst bis ins Alchemiezelt auf der anderen Seite des Lagers gehört, wo er bis eben noch auf einen Boten gewartet hatte, der jedoch einfach nicht kam.
Aus diesem Grund war er nun selbst hierhergekommen, um die geforderten Tränke und Salben vorbeizubringen, die er in den letzten Stunden angerührt hatte.
Auch wenn er das Gefühl hatte, dass er nicht hier sein sollte.
Nicht zuletzt, weil man es ihm verboten hatte. Aber was sollte er machen? Außerdem wollte er hierher. Oder zumindest… wollte er nicht mehr dort bleiben.
Irgendwo in dem Meer von Raunen und Ächzen vernahmen Emils feine Ohren Ezarels Stimme, die gerade Anweisungen für die Verabreichung der Heiltränke erteilte. Der Alchemist wirkte so herrisch wie eh und je, aber die Effizienz, mit der er Aufträge verteilte, war so präzise und schnell wie ein Küchenchef während der Happy Hour - nur, dass kaum einer hinterherkam, da die Arbeit stetig mehr, die Hände aber immer weniger wurden.
Emil fragte sich, warum Ezarel ihm verboten hatte, hierher zu kommen, wo es doch offensichtlich an Helfern mangelte.
Nicht, dass es nicht genug Gardisten im Lager gab, die mit anpacken konnten, doch es war erstaunlich – nein, erschreckend – wie wenig dem Aufruf gefolgt waren.
Und diejenigen, die freiwillig aushalfen, waren langsam am Ende ihrer Kräfte.
Irgendwo am Eingang stießen sogar gerade zwei Gardisten zusammen, was Ezarel nicht einmal mehr kommentierte, so sehr wie er in seine Arbeit vertieft war.
Zum Glück, fand Emil. Denn das bot ihm die Gelegenheit, wieder zu verschwinden, bevor Ezarel merkte, dass er sich seinen Anordnungen widersetzt hatte.
„Emil, gut, dass du da bist“, sagte Ewelein, die ihn in der Ecke bemerkt hatte und ihm sofort einen Eimer in die Hand drückte. „Holst du frisches Wasser?“
Ihre Stimme klang so atemlos, dass Emil nicht lange fackelte und kommentarlos den Eimer entgegennahm, ehe er über seinen Geheimweg wieder hinaus zum Brunnen eilte, um ihn randvoll mit Wasser zu befüllen. Auf diesem Weg musste er nicht an Ezarel vorbei und war sogar in unter einer Minute wieder zurück.
„Das ging ja schnell“, sagte Ewelein erfreut und tunkte sofort mehrere Tücher hinein, um sie dann auf die Brandwunden eines Rehjungen zu legen. „Ich wollte dir schon hinterher, weil mir einfiel, dass du ja gar nicht weißt, wie man von hier aus zum Brunnen kommt.“
Emil ahnte, dass sie auf seine Augen anspielte und grinste. Anscheinend hatte es etwas Gutes, dass Ezarel ihn vorgestern das komplette Lager hatte vermessen lassen. Daher kannte Emil nun die genaue Anzahl der Schritte zu den wichtigsten Orten.
„Eine seltsame Aufgabe, die er dir da aufbrummt“, sagte Ewelein, als Emil ihr davon erzählte.
„Das war ja auch mehr eine Strafe, weil ich so lange getrödelt hatte.“ Verlegen strich er sich ein paar Haare aus dem Gesicht und wusch sich dann die Hände, um ihr bei der Wundversorgung zu assistieren.
„Ja, aber Ezarel macht nichts grundlos. Auch keine Strafen. Ich frage mich, was er mit den Maßen des Lagers will.“
„Sich für das nächste Fest einen roten Teppich legen lassen?“
Ewelein lachte, doch dann wurde sie auf einmal still. „Oder er hat es nicht für sich getan…“
„Hmm?“, fragte Emil. Er war nicht ganz sicher, ob er Ewelein verärgert hatte, denn sie wirkte irgendwie bedrückt. Vielleicht lag es aber auch daran, dass noch ein Berg an Arbeit vor ihnen lag. Emil half ihr daher die Tücher mit der Salbe zu verstreichen, die er mit hierhergebracht hatte.
„Die riecht aber gut“, erklärte Ewelein, was Emil freute und irgendwie auch überraschte. Ezarel wäre mit dem Ergebnis noch lange nicht zufrieden gewesen, aber in der Kürze der Zeit musste Emil eben Prioritäten setzen und er war schneller, wenn er die Zutaten der Nase nach verrührte – auch wenn die Qualität dadurch stark variierte. Da manche Kräuter aber intensiver waren als andere, fand er das Gramm-genaue Abmessen eh etwas albern.
„Ich habe auch noch Schmerz-Still-Tränke dabei.“ Emil holte die Phiolen aus seiner Tasche und legte alles auf ein Tablett vor die Liege. „Ezarel hat mir aufgetragen, zwei Dutzend zu brauen, aber die Zutaten haben nicht für so viele gereicht.“
„Ezarel hat dir so komplizierte Rezepte beigebracht?“, fragte Ewelein und begutachtete die Ware. Ihre Stimme klang gleichermaßen unsicher wie erstaunt, doch am Ende schien sie von der Farbe und Konsistenz ausreichend überzeugt, um dem Rehjungen eine Einheit zu verabreichen. Sein Puls wurde sofort ruhiger, was auch Emil freute.
Von „beigebracht“ konnte Emil nämlich nicht sprechen. Da Ezarel ihn zu Beginn nie aus den Augen ließ, hatte er irgendwann aus Langeweile heraus aufgepasst, als Ezarel die Tränke gebraut hatte und irgendwann mit ihm gewettet, dass er das selbst schaffen würde.
An Ezarels Qualität kamen die Tränke natürlich nicht heran, aber es war gut genug, dass dieser ihn seither machen ließ. Und für Emil war es ein unbeschreibliches Gefühl, dass es etwas gab, in dem er gut war und wofür er nicht seine Fäuste brauchte.
„Du bleibst wohl länger hier“, sagte Ewelein schließlich. „Bei Ezarel, meine ich.“
Emil zuckte mit den Schultern. Er wusste, dass Ezarel die Ärztin noch nicht in die Doppelgänger-Sache eingeweiht hatte und konnte ihr daher schlecht sagen, dass er schon bald wieder weg sein würde. Doch Ewelein schien das auch gar nicht als Frage gemeint zu haben, denn sie sprach weiter, ohne auf eine Antwort zu warten, während sie in geübten Bewegungen die Salbe verstrich. „Es ist gut, dass ich dich sehe, Emil. Ich habe dir zwar schon über Floppy die Details für die Seelentransfusion geschickt, aber da du bisher nicht darauf reagierst hast, gehe ich mal davon aus, dass die Nachricht untergegangen ist. Wir treffen uns beim nächsten Vollmond. Dann stehen die Chancen am höchsten, dass die Übertragung gelingt.“
„Wann ist denn etwa Vollmond?“, fragte er und reichte ihr ein paar frische Tücher. Im Gegensatz zu dem, was auf der Liege passierte, war er nämlich nicht in der Lage den Himmel zu lesen.
„Achja. Tut mir leid. In drei Tagen sollte es soweit sein. Dann ist auch das Tausend-Lichter-Fest. Bis dahin wird alles stehen. Wir machen es direkt im Anschluss an die Feier. Dann sind alle beschäftigt – oder eher betrunken - und wir haben unsere Ruhe.“
Emil erinnerte sich, dass Miiko die Sache mit der Seelentransfusion nicht an die große Glocke hängen wollte. Wahrscheinlich traute sich Ewelein auch nur deshalb jetzt so offen darüber zu sprechen, weil ihr Patient gerade das Bewusstsein verloren hatte und jeder andere im Raum mit dem Kopf ganz woanders war.
Emil fand, dass Ewelein in ihrer Ruhe, die sie trotz des Chaos hier bewahrte, eine enorme Professionalität ausstrahlte. Es erinnerte ihn irgendwie an Ezarel, der egal wie sehr er sich auch aufregte, völlige Konzentration wahren konnte, sobald er sich wieder über seinen Kessel beugte.
„Woran denkst du gerade?“, fragte Ewelein und zog mehrmals an dem Tuch in seiner Hand. „Ich habe dich bisher noch nie so lächeln gesehen.“
Emil blinzelte ins Leere und reichte ihr dann sofort den Verband. Es war seltsam, sich mit einer Person zu unterhalten, die ernsthaft an seinen Gedanken und Gefühlen interessiert war.
Vor allem, da Emil meist selbst nicht so genau wusste, was er eigentlich fühlte.
Bis auf Hunger natürlich. Allerdings ließ sich nicht jedes Gefühl so leicht stopfen.
„Dieser Patient ist soweit versorgt“, erklärte Ewelein schließlich und eilte zur Liege daneben. „Holst du mir noch mal zwei Eimer Wasser?“
Emil nickte erfreut, denn es gefiel ihm, dass er sich nützlich machen konnte - und im Gegensatz zu Ezarel war Ewelein mit Lob nicht gerade sparsam.
Doch als ihm beim Befüllen am Brunnen der erste Eimer aus der Hand glitt, fiel Emil auf, dass die Hand mit der Bisswunde inzwischen nicht einmal mehr zugreifen konnte. Da in dieser Nacht aber wirklich nicht der Zeitpunkt war, um Ewelein mit seinen Problemen auf die Nerven zu gehen, wuchtete er beide Eimer auf seinen gesunden Arm und trug alles vorsichtig zurück zum Zelt.
Vielleicht nicht vorsichtig genug, denn kaum im Zelt angekommen, rutschte er plötzlich zur Seite.
Nein, jemand zog ihn … hinter einen Schrank?
Die Eimer glitten von seinem Arm, doch sie fielen nicht. Jemand nahm ihm beide Eimer ab, staunte kurz über das Gewicht und stellte sie dann an den Rand des Zeltes, bevor er einen Vorhang zuzog.
„Was machst du hier?“, fragte Ezarel und stupste ihm gegen die Nase.
„Ich habe eine Wassermelone getragen“, sagte Emil und schüttelte dann irritiert den Kopf. „Moment, falscher Text. Ich meine, ich habe Wasser getragen. Ewelein bat mich darum.“
„Seit wann habe ich dir gesagt, du sollst auf das hören, was Ewelein sagt?“
„Du meintest, die Klugen haben immer Recht.“
Ezarel seufzte.
Emil grinste. Schach.
Auch wenn er im Moment derjenige war, der sich ziemlich matt fühlte. „Ich will, dass du gehst, Emil. Sofort.“ Ezarels Stimme klang schon wieder so finster. „Und diesmal bleib im Zelt. Du hast Hausarrest. Das ist ein Befehl. Noch einmal sage ich das nicht.“
Emil grummelte. Ob Ezarel noch immer sauer wegen der Auseinandersetzung mit Askir war?
Doch wie konnte Emil die Sache wieder gut machen, wenn Ezarel ihm einfach keine Möglichkeit dafür gab?
„Du kannst hier eindeutig Hilfe gebrauchen“, erwiderte Emil mutig und zog den Vorhang wieder zu, als Ezarel ihn aufschob. „Warum lässt du dir denn nicht von mir helfen? Ist es, weil du dir von niemandem helfen lassen kannst?“
„Geh schlafen“, sagte Ezarel nur. „Denkst du, du kriegst das hin? Das ist doch eigentlich eine deiner leichtesten Übungen.“
Emil schlug gegen den Pfeiler. Doch nicht nur aus Wut.
Er spürte, wie ihm langsam schwindelig wurde … und immer heißer.
„Ich will aber nicht gehen!“, sagte er nur. Allein die Vorstellung, wieder zurückzugehen, bereitete ihm Magenschmerzen. Vielleicht hätte er doch etwas essen sollen.
„Wieso?“, fragte Ezarel schließlich, als Emil sich nicht von der Stelle bewegte. „Ist es wegen dem, was heute passiert ist…“
Emil strich sich den Schweiß aus dem Nacken. Wovon sprach der Typ überhaupt?
Und wieso wurde ihm schon wieder so kotzübel.
„Soll ich Ewelein holen? Wenn du Schmerzen hast, dann…“
Emil schüttelte den Kopf. Wenn einer ärztliche Behandlung brauchte, dann war es Askir. Wobei Unsinn labern in seinem Fall auch schon krankhaft war und ein eingeschlagener Kiefer damit glatt als Heilung durchgehen dürfte.
Emil der Heiler. Ja, so sah er sich. Vielleicht ließen sich manche Sachen eben doch nur mit Gewalt regeln.
Emil grinste hilflos, bis er sich an das Gefühl erinnerte, als er wie ein rasender Teufel auf Askir losgegangen war und ihm stockte kurz der Atem, als ihm klar wurde, dass Ezarel das auch gesehen haben musste.
Emil schluckte.
Was, wenn Ezarel ihn deswegen loswerden und verstecken wollte? So wie Meister Lih ihn stets vor der Welt versteckte.
Emil biss die Zähne zusammen.
Was wenn Ezarel jetzt auch Angst vor ihm hatte?
Er wollte nicht, dass Ezarel ein Monster in ihm sah.
Doch er merkte erst, dass er nach vorn wankte, als er mit dem Kopf gegen Ezarels Brust stieß.
„Beeindruckend, wie du innerhalb eines Tages wirklich gegen die ganze Regelpalette verstoßen kannst.“ Ezarels Stimme klang dabei immer noch so tonlos.
Absolut undurchschaubar.
Doch anstatt Emil von sich zu stoßen, weil er gegen die wichtigste Regel verstoßen und ihn berührt hatte, fuhr Ezarel ihm einmal durch die Haare und hielt dann auf seiner Stirn inne.
Emil konnte nicht sagen, ob sich je etwas besser angefühlt hatte, als Ezarels kalte Finger auf seinen Augenlidern. Aber selbst, wenn er wollte, er konnte sich nicht mehr selbstständig auf den Beinen halten.
„Du hast Fieber“, sagte Ezarel schließlich.
Und das war dann auch schon das Letzte, an das sich Emil erinnerte.
Letzte Änderung durch Ama (Am 17.09.2022 um 10.42 Uhr)
#80 Am 31.05.2022 um 10.57 Uhr
Respekt, für dein schnelles schreiben und vorankommen... ich kann mich meist nicht aufraffen. ^^°
Ezarel sieht also aus wie n Regenbogeneinhorn, nur ohne Horn?.... süß. :D
Emil muss schon echt ganz schön was durchmachen und, auch wenn es nicht so weit kam, ist das für mich immer so n Grenzbereich, vor allem wenn das so n widerlicher Typ ist...*Meria geht den grad mal ankokeln... am Hintern, damit er nicht mehr sitzen kann* (¬‿¬)
Ich weiß nicht ob ich es vergessen oder überlesen habe...aber, wie stellst du dir diesen Reptilmann vor?...An sich wie ein Mensch und sonst nur Schuppen drauf? Oder gibts noch andere Merkmale?
Zumindest klingt er wie jemand, de Meria gern als Sandsack benutzen würde. (ง ื▿ ื)ว
Und scheinbar verspritzt er ne Art Gift oder sowas, was Emil jetzt lahm legt? Zumindest hätte Emil dann Ruhe vor dem Sandsack-Knilch. ò.ó7
Könnte allerdings eng werden, er hat nur 3 Tage zum gesund werden. ^^°
Ewelein gefällt mir in der Episode...eine schöne Abwechslung zu dem mürrischen blauhaarigen Elf. :D
Dann bis zum nächsten Mal ^^/
#81 Am 05.06.2022 um 18.18 Uhr
„Lillif!”, rief mein neuer Chef. „Komm sofort her!”
Ich zuckte zusammen, als mir klar wurde, dass er damit natürlich mich meinte.
Vorsichtig füllte ich noch die Suppe auf einen Teller und garnierte sie mit ein paar Blumen und Kräutern, um die Bestellung fertig zu machen, ehe ich meine Schürze über den Kopf zog.
Es erschien mir immer noch so unwirklich, dass man mich so selbstverständlich mit ihrem Namen ansprach.
Vor allem, weil ich mich gerade erst an die Rolle als Junge gewöhnt hatte. Noch immer lief ich etwas breitbeinig durch die Gegend, was die andere Küchenhilfe im Raum sofort mit einer obszönen Bemerkung zu meinen nächtlichen Gepflogenheiten kommentierte.
Doch das konnte ich nicht einfach abstellen. Vor allem da ich nicht wusste, wie ich mich überhaupt verhalten sollte. Mich auf eine neue Rolle einzustimmen war etwas Tiefgreifendes.
Das ging weit über die Kleidung hinaus.
Man musste wie eine andere Person handeln und das ging einem nur in Fleisch und Blut über, wenn man anfing wie diese Person zu denken. Bei Emil war das noch einfach, weil ich hauptsächlich meinen Bruder vor Augen hatte und keiner irgendwelche Erwartungen an mich hatte.
Doch bei Lillif war das etwas anderes.
Ich kannte sie kaum und wusste nicht, wie gut ihr Umfeld sie kannte, wer zu ihrem Umfeld gehörte und welche Erwartungen man an sie stellte.
Meinen Körper zu verstecken war etwas anderes als meine Persönlichkeit zu verstellen.
Zu meinem Glück hatte Lillif mit den meisten Bewohnern Balenvias kaum Kontakt. Als ich heute Morgen durch die Stadt lief, um zu dem Bewerbungsgespräch zu gelangen, schien sie keiner zu kennen, keiner zu grüßen und fast niemand zu beachten.
Außer eine Person. Und ausgerechnet bei dieser Person sollte ich nun arbeiten.
„Ich komme”, rief ich aus der Küche und elite dann zum Schankwirt in den Gastraum.
Seine Augen waren nicht mehr so schmal wie noch heute Morgen, als ich relativ verwirrt vor ihm stand und wir beide nicht so Recht wussten, ob das eigentlich Lillifs Ernst war.
Ich meine: Was zur Hölle war in Lillif gefahren, dass sie sich ausgerechnet in dem Laden die Kante gab, wo sie sich am nächsten Tag bewerben will?
Ich habe echt noch niemanden einen schlechteren Eindruck bei seinem künftigen Chef hinterlassen sehen.
Wobei Gerüchten zufolge Nevra im selben Moment nach einer Stelle als Gardist gefragt haben soll, als er mit der Tochter des damaligen Gardenführers beim Rummachen erwischt wurde.
Aber es hat ja nicht jeder seine Nerven und auch nicht sein Talent.
Der Schankwirt hatte mir zumindest erst nach längerer Überredung eine Chance gegeben. Dem Personalmangel sei Dank.
Lillifs Glück war zudem, dass ich einiges an Erfahrung in der Küche hatte und kochen konnte ohne meinen Fuß allzu sehr zu belasten.
Ich war daher froh, dass der Schankwirt mich trotz des gestrigen Eindrucks, den Lillif vermittelt hatte, heute hier Probearbeiten ließ. Auch wenn er nicht gerade zimperlich damit war, mich seit vier Stunden alle Gerichte allein kochen zu lassen. Von manchen Speisen hatte ich noch nie etwas gehört und daher auf gut Glück irgendwas gekocht, was der Beschreibung ähnelte. Allerdings waren das Rezepte aus meiner Welt.
Ich ahnte daher Schlimmes, als ich plötzlich in die Gaststube zitiert wurde.
An die imposanten Hörner auf seiner Stirn hatte ich mich inzwischen gewöhnt, doch das aufgesetzte Grinsen meines Chefs machte mich nur noch nervöser.
Allerdings verstand ich nicht, warum er mich unbedingt scheitern sehen wollte. Es war schließlich sein Laden und alles, was ich verbockte, fiel auf ihn zurück. Doch mein Chef war nicht das einzige, was mich einschüchterte.
Am Tisch vor ihm saß eine große Gruppe von Söldnern, für die ich in den letzten Stunden einen Berg an Essen gekocht hatte. Es würde mich nicht wundern, wenn es eine Beschwerde gab, dass die Portionen zu klein waren oder nichts nach dem schmeckte, was sie verlangt hatten.
„Ich sag’s ja. Sie ist noch nicht einmal trocken hinter den Ohren”, erklärte der Schankwirt und schlug mir mit voller Wucht auf den Rücken.
Die Gruppe musterte mich eingehend. Ich war nicht ganz sicher, ob der Wirt mein Alter jetzt als Ausrede benutzte, um mein Unvermögen zu rechtfertigen.
Doch bevor ich mich entschuldigen konnte, hob die Gruppe ihre vollen Krüge und prostete in meine Richtung.
„Kompliment an die Küche!”, erklärten sie einstimmig.
Ich sah über den Tisch, bemerkte langsam, dass sie die Schüsseln bis auf den letzten Rest ausgeschleckt hatten und sah dann verwundert zu meinem Chef.
„Es hat ihnen geschmeckt?”
Mein Chef drückte meinen Kopf etwas tiefer, damit ich mich weiter verbeugte.
„Ja, wie ihr seht sind wir dabei uns neu aufzustellen”, sagte er. Sein Stolz quoll förmlich über.
„Nicht schlecht. Fast so gut wie bei Mercedes”, sagte eine und zwinkerte mir kokett zu. „Ich dachte schon, sie bekäme nie ordentliche Konkurrenz. Die anderen Läden gehen ja immer pleite, wenn sie versuchen, es mit ihrer Küche aufzunehmen.”
Ich war mir nicht ganz sicher, was hier gerade passierte, aber ich bekam nur schwer das Grinsen von meiner Backe.
Auch wenn ich sicher war, dass die Begeisterung der Leute nicht allein in meinem Können begründet war. Die Eldaryaner hatten bei manchen Lebensmitteln, die in ihren Vorratskammern schlummerten, einfach absolut keine Ahnung, wie man sie zubereitete.
Das war mir im Lager der Garde schon aufgefallen, wenn ich Küchendienst hatte.
Ich war aber nicht davon ausgegangen, dass es in Eel so wenige gute Köche gab und es den Leuten so gut schmecken würde, wenn man mal etwas Neues ausprobierte.
Und das Lob setzte sich für den Rest des Abends so fort.
Nachdem wir die letzte Gruppe verabschiedet hatten, stellte der Schankwirt mir einen Becher vor die Nase, um mit mir auf meinen neuen Job anzustoßen. Natürlich kein Alkohol.
Es war Moogliz-Milch, aber ich freut mich sehr. Das Wasser, was durch die einfachen Leitungen in diesem Dorf lief, war nämlich nicht trinkbar. Wenn man Durst hatte, dann musste man zum Brunnen in der Mitte des Marktplatzes und da einige Söldner kein Benehmen hatten und regelmäßig ihren Müll in den Brunnen warfen, war trinkbare Flüssigkeit eben ein wertvolles Gut.
Wenn Lillif mir gestern keinen Tee angeboten hätte, wäre ich sicher auch früher gegangen.
Etwas verdutzt sah ich in das Glas. Dass ich bei ihr noch etwas getrunken hatte, hatte ich vollkommen vergessen. Wieso war mir das entfallen?
„Gute Arbeit“, sagte der Wirt und riss mich damit aus meinen Gedanken.
„Danke, dass Sie mir heute eine faire Chance gegeben haben”, sagte ich ehrlich und konzentrierte mich wieder auf das Hier und Jetzt.
Der Wirt schenkte sich ebenfalls ein und setzte sich dann auf einen Barhocker daneben.
„Das wollte ich erst nicht”, gab er zu. „Ich ging sogar davon aus, dass du scheiterst.”
Den Eindruck hatte ich also nicht umsonst gehabt.
Ein Glück, dass ich so hartnäckig geblieben bin… und dass meine Mutter mir vor ihrem Tod noch ihr Rezeptbuch vermacht hatte. Ich wünschte, ich hätte diese Arbeit schon früher versucht, anstatt mich immer mit Aushilfsjobs zufrieden zu geben. In meinem Leben hatte ich mich kaum zu Risiken überwinden können, doch nun, wo mir gar nichts anderes übrig blieb, fühlte sich das seltsam leicht an.
Ich ließ meinen Blick durch den inzwischen leeren Raum schweifen. Der Laden war nichts Besonderes. Lange Holzbänke, eine Zapfanlage und karge Backsteinwände. Der Schankwirt hatte nicht gerade ein Auge für Ästhetik oder ihm fehlte einfach das nötige Kleingeld für eine Renovierung, aber es genügten tatsächlich ein paar Gäste, die diesen Ort mit Leben füllten und er besaß plötzlich unglaublichen Charme.
Nur mit Mühe konnte ich ein Gähnen unterdrücken. Im Grunde war das ja völlig egal.
Lange würde ich die Maskerade eh nicht aufrechterhalten. Ich spielte Lillif ja nicht zum Spaß oder um die Kochkarriere, die ich nie hatte, voranzutreiben.
Es ging mir immer noch darum ein Leben zu retten.
Zu diesem Zweck verwickelte den Wirt in einen kleinen Smalltalk über Gott, die Welt und seine Ambitionen, bis er genug gebechert hatte, dass ich ihn nach einem Vorschuss fragen konnte.
Schließlich brauchte ich immer noch das Reittier, um zu Chrome zu gelangen. Und ganz gleich, ob ich dafür den verpfändeten Stein zurückkaufte oder direkt das Reittier mietete - ich brauchte etwas Kapital.
„Nichts da”, sagte er jedoch nur. „Maana wächst nicht in Büschen.”
Das hatte ich mir beinahe gedacht, aber ich war nicht so weit gekommen, weil ich immer nur bettelte. „Wie wäre es, wenn wir dann das Trinkgeld teilen, das ich einnehme?”
„Was?”
„Falls nicht wäre das auch okay. Es gäbe sicher Wirte, die sich auf diesen Handel einlassen würden.”
„Freches Kind”, sagte er. Ich merkte jedoch, dass ich den Geizhals bei den Kronjuwelen hatte, denn er schien zu wissen, dass ich mir mit meinen Fähigkeiten auch anderswo einen Job suchen könnte. Und dank des heutigen Tages würde ich mich gewiss nicht mehr unter Wert verkaufen.
„Das muss man dir echt lassen, Lillif”, sagte er und schenkte sich noch einmal ein. „Ich habe dich eindeutig unterschätzt.”
„Kochen ist eben etwas, das ich immer schon gut konnte.”
„Das meine ich gar nicht. Ich dachte, du wärst ein verwöhntes Gör, das sich nie die Hände schmutzig machen würde. Dein Einsatz heute hat aber mich eines Besseren belehrt.”
Mit diesen Worten nahm er einen überraschend großzügigen Teil aus der Trinkgeldkasse und steckte es mir zu. „Versprich mir aber, dass du dir davon Medizin für dein Bein kaufst. Das macht keinen guten Eindruck auf die Gäste.”
Mir wurde etwas warm um die Nase. Anscheinend hatte ich den Schmerz in meinem Fuß nur schlecht überspielen können. Meinem alten Chef im Pizza Pizza-Unternehmen wäre das niemals aufgefallen und in Punkto Geiz nahmen sie sich beide nichts, doch dieser Wirt – mein neuer Chef - war überraschend einfühlsam.
„Ich habe Sie auch unterschätzt”, sagte ich daher und nahm dann dankend das Maana entgegen.
Für einen richtigen Heiltrank war es jedoch zu wenig und ich konnte es mir eigentlich nicht leisten, es für eine einfache Salbe zu verschwenden.
Wenn ich morgen nämlich noch einmal so viel verdiente, dann hatte ich die Summe fast zusammen.
Beim Aufräumen entdeckte ich allerdings, dass die meisten Kräuter, die ich für eine Salbe benötigte, bereits in der Küche vorhanden waren.
Der Wirt war nicht nur einverstanden, mir ein paar Zweige zu überlassen, er gab mir auch die Reste des Essens mit, wenn ich dafür morgen Überstunden machte.
Ich fragte mich auf dem Nachhauseweg, ob der Gauner eigentlich wusste, wie sehr er mir damit half.
Doch kaum war ich zurück in Lillifs Haus angelangt, fühlte ich mich einfach nur erschlagen.
Es kam mir ganz recht, dass mein Körper sich absolut taub anfühlte, denn so merkte ich kaum, dass jeder einzelne Muskel in mir vor Erschöpfung schrie. Selbst mein Fuß hatte inzwischen die Farbe einer Aubergine angenommen. An Schlaf war jedoch noch nicht zu denken.
Da ich die Klamotten von heute auch morgen wieder tragen wollte, wühlte ich zunächst in Lillifs Schrank, bis ich ein Kleidungsstück gefunden hatte, das ich - ohne mir eine Zerrung zuzuziehen -wechseln konnte. Mein Dolch passte sogar in die Halterung am Bein, was ich für den Alltag ganz praktisch fand. Vor allem, da ich beim Kochen das Messer so immer bei mir hatte.
Draußen auf der Straße würde ich diese Kleidung nicht tragen, aber im Haus könnte ich mich daran vielleicht gewöhnen. Und immerhin passte der dunkelrote Stoff rein farblich zu meinem Fuß.
Während ich auf einem Tisch in der unteren Wohnstube die Salbe vorbereitete, ließ sich der Chestock kurz blicken, roch an dem Essen und verschwand dann wieder unbeeindruckt in die Nacht.
Bevor ich mich jedoch aufregen konnte, was ich nun mit den Essensresten machen sollte, fiel mir ein, dass da ja immer noch Lillifs Gefährte in diesem Haus war.
Angeblich war der ja weniger wählerisch.
Mit einem Futternapf in der Hand stromerte ich durch das Haus. Die meisten Zimmer hatte ich noch nicht betreten. Zwei Türen waren aber fest verschlossen, sodass ich irgendwann vor dem Eingang zum Keller stand. Doch da unten war so dunkel, dass ich unbewusst zurückwankte.
„Du bist Lih aus einer dunklen Höhle entkommen. Reiß dich zusammen, Em!”, sprach ich mir Mut zu.
Falls dieser Valky noch nicht tot war, war er sicher am Verhungern.
Und was war schon das Schlimmste, was mich da unten erwarten konnte?
Kommi
Letzte Änderung durch Ama (Am 06.06.2022 um 08.18 Uhr)
#82 Am 12.06.2022 um 19.33 Uhr
Während ich entschlossen den Keller hinabstieg, erinnerte ich mich daran, dass sich Gefährten im Sommer gern in den kühlen, unterirdischen Gewölben der Dörfler zurückzogen.
Spadel, Maripoden, Serseas, Cheads… Mit jeder Treppenstufe fielen mir ein Dutzend weitere Gründe ein, warum ich nicht unbedacht ins Dunkle tapsen sollte.
Schließlich war ich nicht gerade scharf darauf, einem von ihnen versehentlich auf die Gliedmaßen zu treten.
Nicht nur, weil ich einen gesunden Respekt vor Wesen hatte, die mich mit einem einzigen Biss töten konnten, sondern auch weil ich einfach keiner Spinne etwas zu Leide tun konnte.
Das war in meiner Welt schon so gewesen und hier war das nicht anders.
Auch wenn die Gefährten viel stärker waren als ich und die Garde mich für meine Hemmungen eher verspottete - meine Prinzipien konnte ich nicht einfach über Bord werfen. Das wollte ich auch nicht. Es war schließlich eine Eigenschaft, die ich inzwischen an mir mochte.
Nichtzuletzt, weil Chrome es immer an mir bewundert hatte.
Daher tastete ich mich nur langsam weiter voran. Stufe für Stufe.
Auch wenn die Neugierde in mir inzwischen unerträglich war.
Was Lillif wohl für einen Gefährten hatte?
Wenn es nach ihrem Äußeren ging, würde ein O’oluray gut passen, doch was passte zu ihrer Persönlichkeit?
Ich merkte erst, wie sehr ich in Gedanken versunken war, als ich den unteren Treppenabsatz erreicht hatte. Es roch etwas modrig, aber glücklicherweise entdeckte ich links von mir ein kleines, verhangenes Fenster, durch dessen Ränder ein paar Strahlen Mondlicht blitzten.
Da sich meine Augen noch nicht an die beschränkten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, eilte ich darauf zu, um die Vorhänge aufzuziehen, doch kaum hatte ich den Stoff mit den Händen gepackt, da verfing sich mein Fuß in etwas, das auf dem Boden quer im Durchgang lag. Der Napf glitt aus meinen Fingern, doch mein Versuch, mich an dem Vorhang festzuhalten, scheiterte, als ich hörte, wie der Stoff riss.
Dafür flutete eine grelle Lichtschneise den Raum und gewährte mir einen gnädigen Blick auf den mit Essen bekleckerten Steinboden, mit dem ich gleich Bekanntschaft machen sollte. Es tröstete mich ein wenig, dass meine Arme inzwischen so vernarbt waren, dass ich den Aufprall fast schmerzfrei mit ihnen abfangen konnte.
Allerdings bedankte sich mein Fuß für diese unnötige Aktion mit einer heftigen Schmerzwelle, sodass mir beinahe schwarz vor Augen wurde.
Während ich gegen den Schwindel ankämpfte und mein Gesicht aus dem Brei zog, streifte mein Blick durch den Keller.
Doch es war kein einziger Gefährte zu sehen.
Hier war überhaupt nichts; außer zwei mit Plunder gefüllte Metallregale, ein paar angekokelte Bottiche, eine Leiche und ein Haufen Asche in der Ecke.
Ich wuchtete mich auf die Beine und humpelte dann missmutig zurück zur Treppe.
Bis mich plötzlich mit Wucht die Erkenntnis traf.
Ich schluckte. Eine Leiche?!
Abrupt drehte ich mich auf dem Absatz und starrte auf den am Boden liegenden Mann, über den ich eben gestolpert war.
Ich hatte das Gefühl, die Luft entwich aus meinem Körper, als ich ihn erkannte.
Er hatte die Augen geschlossen, doch sein Haar schimmerte silbern im Licht des Mondes, als würde es mir zuzwinkern.
Meine Kehle schnürte sich zusammen, während meine Füße stoisch auf ihn zuliefen. Ich war nicht sicher, ob ich träumte.
Wie oft hatte ich das schon?
Mein Finger bohrte sich in seine Wange. Dann gegen meine.
Ich begann zu begreifen, dass der einzige, der hier schlief, er war.
In dem Moment gaben jedoch meine Füße unter mir nach und ich sackte vor ihm auf die Knie.
Meine Augen sprangen über die Konturen seines Gesichtes und suchten nach einem Anhaltspunkt, dass ich mich irrte. Doch leugnen war zwecklos.
Er war es wirklich.
Der weißhaarige Ritter.
Allerdings wich die Erleichterung, dass er nicht tot war mit eben dieser Erkenntnis einem anderen Gefühl – ganz als würde ich aus dem Himmel direkt in den Schlund der Hölle springen.
Meine Hände ballten sich zur Faust und schlugen wie von selbst gegen seine Brust.
Vielleicht war ich doch nicht so pazifistisch wie ich mir zu Beginn noch eingeredet hatte.
Da war nicht die geringste Hemmung in meinem Schlag. Da war nur Wut und Enttäuschung, weil er sein Versprechen doch tatsächlich gebrochen und mich einfach zurückgelassen hatte.
„Du wirst dir wünschen, du wärst tot”, knurrte ich.
Ich schlug weiter, bis er vor Schmerz die Stirn in Falten legte. Seine Augen waren noch immer geschlossen, doch ich spürte etwas Feuchtes an meinen Fingerknöcheln.
Blut?
Erschrocken zog ich das Hemd an seinem Halsausschnitt ein Stück nach unten. Darunter offenbarte sich ein entsetzlicher Blick auf seine Schulter – sie war ausgerenkt, zum Teil entzündet und kaum notdürftig versorgt. Keine Wunde, die ich ihm jetzt zugefügt hatte, das war schon länger so. Seine Haut war so kalt wie der Kellerboden und auch beinahe so grau. Kein Wunder, dass ich seine Präsenz nicht früher bemerkt hatte – er hatte so gut wie keinen Puls mehr.
„Nein, nein, nein!” Ich presste die Zähne aufeinander und zog ihn dann von dem Regal weg. „So leicht kommst du mir nicht davon, hörst du?!”
Keine Ahnung, wo ich plötzlich die Energie hernahm, um einen ausgewachsenen Mann einen ganzen Meter über den Boden zu schleifen.
Vielleicht war es die Sorge, dieser Kerl könnte sich sonst wieder so feige aus dem Staub machen.
Denn das würde ich dieses Mal um jeden Preis zu verhindern wissen.
Ich wollte, dass er mir in die Augen sah und mir ehrlich sagte, dass er mich nur verarscht hatte.
Um eine Antwort aus ihm herauszuprügeln, würde ich ihm zur Not auch sein gottverdammtes Leben retten.
Das bisschen Wundversorgung konnte ich inzwischen ja im Schlaf.
Fluchend zerrte ich eine Kiste als Unterlage aus dem Regal.
Allerdings bekam ich nur mit Mühe seinen gewaltigen Oberkörper auf die Bretter gehoben.
Zudem war sein Arm so verschwitzt, dass ich kaum Halt hatte, um ihm die Schulter wieder einzurenken. Ich war klitschnass vor Schweiß, als es endlich knackte und das Gelenk wieder an seiner ursprünglichen Position saß.
Doch das war nur der Anfang. Die Schulter brauchte mehr als das. Damit er wieder zu Bewusstsein kam, musste ich verhindern, dass sich die Infektion weiter ausbreitete.
Aus der Küche besorgte ich daher die Tagesration Wasser und die Salbe, die ich angerührt hatte.
Ich nahm alles mit, da ich nicht genau wusste, wie groß die Wunde eigentlich war.
Doch um die Wundausbreitung zu bestimmen, musste ich ihm irgendwie das Hemd ausziehen.
Ein Unterfangen, das sich fast als schwieriger erwies als das Einrenken der Schulter. Vor allem, weil ich das Gefühl hatte, dass er mich immer wieder von sich stieß.
Irgendwann gab ich es auf und schnitt kurzerhand sein Hemd mit dem Dolch auf.
Allerdings brachte mich der Anblick seiner blanken Brust länger aus dem Konzept als es sollte. Im Lager der Garde hatte ich mich bereits daran gewöhnt von nackten Männern umgeben zu sein, doch das hier war irgendwie anders. Ich hatte die Szene vor Augen, wie ich vor wenigen Wochen halbnackt im Wald von dem Grookhan angegriffen worden war und wie er mich gerettet hatte. Nun dieselben Arme zu verarzten, die mich damals getragen hatten, war ein seltsames Gefühl.
Doch ich schüttelte entschlossen mit meinem Kopf auch die Gedanken beiseite.
Schon damals hatte er mir gesagt, dass ich in dieser Welt nicht überleben würde, wenn ich mein Schamgefühl nicht in den Griff bekam.
Und in diesem Punkt hatte er Recht. Also konzentrierte ich mich wieder auf die Arbeit.
Dabei zeigte sich schnell, dass vor allem sein Rücken schwerer verletzt war, als ich bislang angenommen hatte. Ich erinnerte mich daran, wie wir damals aus dem brennenden Dorf geflohen waren. Die Wunden auf seinem Körper ähnelten den Verletzungen, die er beim Einsturz des Schuppens davongetragen haben musste, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sie so lange unbehandelt gelassen hatte.
Bei dem Gedanken wandte ich jedoch störrisch den Kopf zur Wand. Nicht, dass mich interessierte, was er in den letzten Wochen erlebt hatte…
„Lass mich, Lil…”, brummte er.
Es erinnerte mich daran, dass ich bereits mehr wusste, als mir lieb war. Doch das änderte nichts an meinem Vorhaben. Er war noch immer bewusstlos und seine Stimme klang eher wie ein trockenes Flüstern. Aber wir schienen Fortstritte zu machen. Also machte ich weiter.
Nachdem ich ihn gewaschen, die Wunden gesäubert und mit der Salbe bestrichen hatte, suchte ich im Haus nach einem Hemd, das ich ihm überziehen konnte. Ich war nicht stark genug, um ihn aus dem Keller zu schaffen, aber dort war es zu kalt und zu dreckig, um ihn oberkörperfrei herumliegen zu lassen. Außerdem war mir dabei wohler, wenn er wieder vollständig bekleidet war.
Das Ankleiden ging auch deutlich einfacher, jetzt, wo seine Haut nicht mehr klebte und ich hatte sogar den Eindruck, er half ein bisschen dabei mit.
Sein Atem war ruhiger und tiefer, doch sein Puls war noch immer kaum zu ertasten. Das bereitete mir Sorge, denn ich wusste nicht, was ich sonst noch für ihn tun konnte. Brauchte er mehr Salbe?
Kraftlos humpelte ich zur Treppe.
Doch kaum hatte ich diese erreicht, spürte ich, wie sich eine Hand um meinen Fußknöchel schloss.
„Was… ser”, röchelte er. Ich verstand es kaum.
Doch als ich endlich begriff, dass er unglaublichen Durst haben musste, merkte ich, dass ich im Eifer einen gravierenden Fehler begangen hatte.
Der Eimer mit dem Wasser war die einzige Tagesration an Trinkwasser, die mir zur Verfügung stand und ich hatte es restlos zum Säubern seiner Wunden verbraucht.
Da mir nichts anderes übrigblieb, eilte ich mit dem Eimer die Treppe hoch, aus der Haustür raus, die Straße entlang bis zum Marktplatz, wo der Brunnen stand.
Es war zwar unglaublich dunkel, doch ich roch auch so, dass sich jemand in den Brunnen übergeben haben musste und schmiss den Eimer verärgert auf das Pflaster.
Manchmal war dumm echt schlimmer als böse. Wer macht denn sowas?
Aus purer Verzweiflung klopfte ich an zwei Haustüren, drei, vier – fragte nach Wasser oder etwas anderem zu trinken, aber entweder machte keiner auf oder ich bekam eine gewaltige Tirade an den Kopf geschmissen, dass ich zu so später Stunde noch störte. Selbst die Tore des Tempels waren verschlossen.
Es dauerte Stunden, bis ich endlich an eine Tür kam, an der mir jemand zuhörte.
Ein kleiner, alter Mann füllte mir ein paar Schlucke ab, für die ich mich noch bedankte, als er seine Tür schon wieder geschlossen hatte.
Wie vom Spadel gestochen eilte ich mit der wertvollen Fracht zurück in Lillifs Haus und die Treppe hinunter. Allerdings war mein Fuß inzwischen so taub, dass ich nicht merkte, wie ich an der letzten Stufe vorbeiglitt.
Ich sah den Eimer durch die Luft fliegen, versuchte ihm nachzuspringen, doch als wir beide gegen die Wand krachten und das Wasser sich ungehemmt über den Boden verteilte, wich die gesamte Farbe aus meinem Gesicht.
„Durst”, murmelte der Weißhaarige wieder. Seine kratzige Stimme brannte in meinen Ohren.
Mit einem Mal wurde mir klar, dass es gut sein konnte, dass er die Nacht nicht überstehen würde und ich hatte nicht die geringste Idee oder die Kraft, um das zu verhindern.
Zitternd kauerte ich auf dem Boden und versuchte mich zusammenzureißen.
Natürlich war ich sauer auf ihn.
Aber verdammt, er hatte mir mehrmals das Leben gerettet und ich wollte nicht, dass er starb. Ganz gleich, was er mir angetan hatte. Allein die Vorstellung war unerträglich.
So unerträglich, dass ich schluchzend in mich zusammenfiel. Ich spürte die Gefühle in mir hochbrodeln wie ein unkontrollierbarer Strudel. Meine Augen brannten, als ich die salzigen Tränen nicht mehr zurückhalten konnte und ich wünschte mir, dass es irgendetwas gab, das meine Trauer einfach davon spülen konnte… dass ich einfach loslassen konnte von dem Schmerz, der mir so sehr den Atem raubte. Ich barg meine Hände im Gesicht. Vielleicht lag es an dem kalten Stein, aber sie fühlten sich so angenehm kühl an und nass.
Ein schmatzendes Geräusch unter meiner Wange ließ mich jedoch innehalten. Erschrocken blickte ich auf den Boden.
Unter mir bildete sich eine Lache, in die stetig etwas von meiner Hand tropfte.
Was zum…?
Hatte ich ein Leck? Löste ich mich jetzt auf?
Eine Weile sah ich auf meine Hand, bis mir plötzlich klar wurde, dass das die Kräfte waren, die mich schon aus der Höhle befreit hatten. Das Wunder, das ich jetzt brauchte – es war tatsächlich da.
Im ersten Affekt griff ich nach dem Napf, der noch beim Fenster lag, steckte meine Finger hinein und nippte dann an der Flüssigkeit. Das Wasser war unerwartet klar und süß im Geschmack…
Ich nickte. Das sollte trinkbar sein. Ich spülte den Napf aus und füllte ihn mit dem, was da aus meiner Hand floss. Irgendwie peinlich, aber ich versuchte nicht zu viel darüber nachzudenken.
Vorsichtig, um ja nicht wieder etwas zu verschütten, balancierte ich den Napf zu dem Ritter ohne Rüstung und flößte langsam etwas in seinen Mund.
Als er schließlich selbstständig zu trinken begann, atmete ich erleichtert auf.
So viel Glück hatten wir beide echt nicht verdient.
Allerdings merkte ich erst, dass er immer noch Durst hatte, als er mir den Behälter aus der Hand riss und die letzten Tropfen mit der Zunge ausschleckte.
Ich konnte kaum ein Grinsen verbergen. „Am Ende hast du wirklich was von einem Haustier...”, witzelte ich mehr zu mir selbst und nahm ihm den Napf wieder aus der Hand, um ihm nachzuschenken. Eigentlich müsste es mich mit Sorge erfüllen, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich die Kräfte kontrollieren konnte, aber der Strom war klein und ich war einfach nur froh, dass die Tropfen mit erstaunlicher Leichtigkeit aus meinen Fingern sprudelten.
Doch ich hatte kaum das erste Drittel befüllt, da griff der Weißhaarige mit einem Mal ungeduldig nach meinem Handgelenk.
„Hey”, rief ich, als er meine Finger an seine Lippen führte, um direkt aus ihnen zu trinken.
„Nicht!” Ich versuchte mich loszureißen, doch mit jedem Schluck, schien er mehr an Kraft zu gewinnen, bis er sich schließlich über mich beugte und die Augen aufschlug.
Eine Hitzewelle schoss mir durch die Wangen, als unsere Blicke sich trafen.
„Warte doch…”, wiederholte ich. Meine Stimme kaum mehr als ein Zittern. Ich wollte ihn doch schlagen, wollte ihn doch anschreien, aber nun, wo er endlich bei Bewusstsein war, bekam ich kaum ein Wort aus dem Mund.
„Wenn du wüsstest, wie lange ich das habe”, murmelte er. Seine Stimme war unerwartet fest.
Lächelte er etwa?
Ich hatte das Gefühl, sein Gesicht käme mir näher, je länger er mich anstarrte. So nahe, dass ich meine Hand nicht zurückziehen, sondern gegen ihn stemmen musste.
Doch egal, wie sehr ich ihn auf Abstand hielt, meine Wangen hörten einfach nicht zu brennen auf.
„Wie beruhigend”, sagte er zwischen zwei Schlucken. "Du wirst immer noch so schnell Rot.“
Nervös wandte ich den Blick ab. Ich sah, wie sich eine Strähne seines Haares löste, an seinem Ohr hinab auf mich zurieselte und schließlich mit meinen blonden Locken zu verschmelzen schien.
Ein Stich fuhr plötzlich durch meine Brust. Denn der Moment, in dem ich endlich kapierte, dass ich mich schon lange über beide Ohren in ihn verknallt hatte, war auch der Moment, indem ich realisierte, dass ich immer noch als Lillif verkleidet war.
Episodenbild_7
Letzte Änderung durch Ama (Am 07.08.2022 um 21.37 Uhr)
#83 Am 19.06.2022 um 17.12 Uhr
Kurze Ankündigung!
Ich bin in einer kurzen Sommer-Pause.
Mit dem Upload geht es aber ab dem ersten Sonntag im August weiter - 07.08.22.
Bleibt cool solange ; )
Bis dann^^
Letzte Änderung durch Ama (Am 21.06.2022 um 19.28 Uhr)
#84 Am 07.08.2022 um 14.43 Uhr
Ein lautes Klopfen riss mich am nächsten Morgen so tief aus dem Schlaf, dass ich einen Moment brauchte, ehe ich begriff, dass ich mich nicht in meiner Wohnung in Berlin befand, sondern noch immer in Lillifs Haus in Balenvia.
Es war manchmal aber auch echt schwer zu unterscheiden, was Traum und was Wirklichkeit war. Gerade eben durchstöberte ich noch meine Musiksammlung auf meinem großen Sitzkissen und Schwupps lag ich im Dreck in einem Keller, wo mir statt einem angenehmen Bass ein taktloses Hämmern an der Haustür den letzten Nerv raubte.
Etwas unbeholfen richtete ich mich auf, wobei mir ein größeres Hemd von den Schultern rutschte. Es kam mir bekannt vor, aber erinnern konnte ich mich nicht so recht, wann ich mir den Stoff als Decke übergelegt hatte. Überhaupt war ich nicht ganz bei Sinnen. Ich sah ein Bein, das ich aber nicht bewegen konnte, also schob ich es beiseite und versuchte dann mit einem anderen Bein, das mir immerhin gehorchte, aufzustehen.
Ja, ich fühlte mich weit weniger erholt, als ich bei der Menge an Schlaf erwartet hatte. Ganz so, als wäre mir Energie für etwas entzogen worden oder als hätte ich letzte Nacht etwas getan, das mich viel Ausdauer gekostet hatte.
Kurz blickte ich auf meine Hände hinab, als würde sich dort die Antwort verbergen. Sie waren trocken, kribbelten aber leicht von der Kälte und dem Staub, der sie bedeckte. Nur mein Gesicht klebte noch, da ich mich wohl im Schlaf in eine Pfütze gerollt hatte.
Da das Klopfen an der Tür aber stärker wurde, ignorierte ich alles um mich herum und humpelte dann so schnell ich konnte die Treppe hinauf. Es war gut möglich, dass irgendein Nachbar gekommen war, um sich wegen der nächtlichen Ruhestörung zu beschweren, die ich beim Wasserholen gestern verursacht hatte. Dass ich einen guten Grund hatte, mich lauthals über das Erbrochene im Brunnen aufzuregen, wäre einem Söldner sicher egal. Daher fackelte ich nicht lange und öffnete gleich die Tür, um zu sagen: „Verzeiht den Lärm. Das war ein Notfall und ich verspreche, dass sich das nicht wiederholen wird!”
Es war besser, sich schnell zu entschuldigen, bevor sich hier am Ende noch mehr wütende Leute sammelten und ihre Rache gegen mich planten… Und mich demütig verbeugen war leichter als vor einem Mistgabel-Mob davonzulaufen.
Glaub mir. Ich sprach da aus Erfahrung.
„Da bist du ja, Lil..”
Ich hob den Kopf, als ich die Stimme der Küchenhilfe erkannte.
„..lif?” Sie zögerte, sah auf das Türschild und dann wieder zu mir. „Bin ich hier richtig?”
„Ja?”, bekräftigte ich kurz. „Ist etwas mit der Arbeit?”
Die Küchenhilfe nickte apathisch. „Der Wirt will wissen, ob du heute bereits zur Frühschicht kommen kannst. Wir haben eine Menge Reservierungen reinbekommen und sie haben nach deinen Speisen gefragt.”
Reservierungen? So schnell? Meine Mundwinkel sprangen in die Luft.
Eine Welle an Stolz erfüllte mich und weckte jeden müden Knochen in mir. Ich spürte, wie ich augenblicklich drei Zentimeter größer wurde und mein Lächeln fünf Watt heller.
Die Leute kamen tatsächlich in Scharen für mein Essen?
Doch das war nicht alles.
Der Wirt hatte sein Wort gehalten, mir mehr Arbeit zu beschaffen, sodass ich das Geld für das Reittier schneller zusammenkriegen könnte als ich „Trinkgeldbonus” rufen konnte.
„Ja… KLAR!”, sagte ich überschwänglich und schlug der Küchenhilfe gegen die Schulter. „Lauf zum Schankwirt vor. Ich komme so schnell ich kann nach und helfe bei den Vorbereitungen mit.”
Doch die Küchenhilfe rührte sich zunächst nicht von der Stelle, sondern beugte sich noch einmal prüfend zu mir vor.
Hatte ich etwas im Gesicht?
„Krass”, sie schüttelte den Kopf, „ohne Schminke siehst du echt völlig anders aus, Lillif.”
Mit diesen Worten riss sie sich schlussendlich los und eilte dann davon.
Ich war nicht ganz sicher, was sie meinte, bis ich in den Hausflur zurückkehrte und in den Spiegel über der Anrichte schaute.
Das waren zwar immer noch Lillifs Haare, die ich da erblickte, aber…
nicht ihr Gesicht.
Es war meines. Meine Wangen, meine Lippen, meine Nase.
Das Abbild schrie mir förmlich „Emilia” entgegen.
Kein Wunder, dass die Küchenhilfe irritiert war.
Unsicher warf ich noch einmal einen Blick in Lillifs Brief, den sie mir als Abschiedsnotiz hiterlegt hatte. Tatsächlich.
Das Wasser musste die Schminke und damit den Zauber gelöst haben.
Vermutlich weil ich die Nacht über in der Pfütze geschlafen hatte.
Zum Glück war die Küchenhilfe so naiv, dass sie glaubte, etwas Schminke könnte meine Wangenkonturen komplett verändern. Der Schankwirt war da sicher skeptischer.
Vorsorglich lief ich in Lillifs Zimmer und trug erneut etwas von der magischen Schminke auf, um für die Arbeit wieder ganz in ihre Rolle schlüpfen zu können.
Das Puder war wirklich erstaunlich.
Selbst die Farbe meiner Iris färbte es im Nu Dunkelrot. Am Ende sah ich wieder ganz wie sie aus.
Vermutlich könnte ich damit sogar Lillifs Familie täuschen.
Auch wenn ich gar nicht wusste, ob sie überhaupt noch eine hatte.
In diesem Haus lebte sie schließlich allein.
Ich stockte. Die Puderdose fiel mir fast aus der Hand.
Nein, allein war Lillif hier nicht.
Bruchstücke der gestrigen Nacht drangen auf mich ein wie ein Asteroidenhagel und mit jeder Erinnerung beschleunigte ich meinen Schritt zurück zum Keller. Das hatte ich völlig verdrängt.
Ihn hatte ich völlig verdrängt.
Vorsichtig spähte ich die Treppe hinunter.
Doch der Raum war leer.
Der weißhaarige Ritter; er war weg.
Die Luft entwich aus meinen Lungen wie aus einem geplatzten Ballon.
Läge sein blutverschmiertes Hemd nicht immer noch in der Ecke, hätte ich fast an mir gezweifelt.
Ich war vieles, aber nicht wirklich überrascht.
So überkam mich einfach eine riesige Woge der Erleichterung.
Zu wissen, dass er noch lebte, machte mich fast so glücklich wie die Tatsache, dass ich ihm nach der gestrigen Nacht nicht mehr in die Augen sehen musste.
Doch gerade als ich die Tür zum Bad öffnete, um mich fertig zu machen, schlug mir ein riesiger Dunstnebel entgegen, sodass ich kurzzeitig erst einmal gar nichts mehr sah.
Dafür drängten sich mir einige Fragen auf.
Zum Beispiel: Seit wann ging das heiße Wasser?
Oder: Was war das für ein süßes Aftershave?
Aber vor allem: Wollt ihr mich eigentlich auf den Arm nehmen?
Denn als plötzlich karamellfarbene Haut durch den weißen Schleier an Nebel und Haaren schimmerte, blieb mir fast das Herz stehen.
Ich wollte mich abwenden, die Augen schließen, wegrennen, das Land verlassen oder mich gleich zum gottverdammten Mond schießen, doch stattdessen stand ich nur mit aufgerissenen Augen vor ihm und starrte auf die Tropfen, die von seinem Kinn auf die breiten Schultern platschten wie Sommerregen auf glatten Marmor.
Verdammt.
Wie konnte so ein Mann überhaupt existieren? Beziehungsweise…
Wieso war mir erst gestern klar geworden, wie heiß der weißhaarige Ritter eigentlich war?
Ich schluckte einen gefühlten Liter Speichel hinunter und schlug mir dann gegen die Brust, weil ich mich natürlich daran verschluckte.
Ich musste mich dringend beruhigen.
Schließlich versprach die ganze Geschichte keinen guten Ausgang für mich.
Vielleicht hatte ich es deshalb den ganzen Morgen verdrängt. Immerhin war es mir gestern schon klar gewesen.
Ich sollte gar nicht hier sein. Ich war nicht zurechnungsfähig, wenn es um ihn ging... vor allem, wenn er wie jetzt nur ein Handtuch um die Hüfte trug.
„Wenn du mit Starren fertig bist, dann lass mich vorbei”, unterbrach er meine Gedanken.
Ich rutschte augenblicklich einen Schritt zur Seite.
Vor allem, weil mich die Schärfe seines Tonfalls sehr überraschte.
Das war nicht die sanfte Stimme, die mich gestern um den Verstand gebracht hatte.
Sein jetziger Ton klang so hart wie am Tag unserer Begegnung, als ich seine Axt fallen gelassen hatte und sie an den Steinen der Schlucht zerschellt war.
„Schlecht geträumt?”, fragte ich daher. Der Spott kam wie im Affekt und ich bereute die Worte, als ich den schmerzverzerrten Ausdruck in seinem Gesicht sah.
„Ganz im Gegenteil”, murmelte er und schob sich dann an mir vorbei, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen.
Ob er noch Schmerzen in der Schulter hatte?
„Soll ich versuchen, den Herd zum Laufen zu bringen? Wenn ich Feuerholz hole, könnte ich einen Tee machen”, sagte ich.
Eigentlich hätte ich die Gelegenheit nutzen und kommentarlos zur Arbeit gehen sollen, doch etwas in mir konnte ihn einfach nicht sich selbst überlassen. Dafür hatte ich nicht um sein Überleben gekämpft.
„Verzichte”, schnaubte er jedoch nur. „Wenn du mich wieder ausknocken willst, dann wirst du mich diesmal wohl zum Zweikampf herausfordern müssen.”
Eine harsche Reaktion.
Ich erinnerte mich, dass Lillif mir einen vorzüglichen Tee gemacht hatte. Ob ihm ihr Tee nicht schmeckte?
„Dann lass mich zumindest den Verband wechseln. Es ist wichtig, dass sich deine Schulter nicht wieder entzündet und…” Doch weiter kam ich nicht, denn schon im nächsten Moment spürte ich, wie eine Faust haarscharf an mir vorbei in die Wand einschlug.
Sein Blick bohrte sich dabei durch mich hindurch, als wäre ich von einem bösen Dämon besessen.
„Für deine Spiele habe ich keine Zeit, Lillif. Also komm zur Sache und sag, was du willst.”
Ein großes Fragezeichen zeichnete sich auf meiner Stirn ab.
Wieso war er so misstrauisch?
Die Beziehung der beiden war deutlich komplizierter als ich dachte.
Gut, wenn ich so darüber nachdachte, dann war seine Haltung verständlich. Er war immerhin in einem erbärmlichen Zustand gewesen, als ich ihn im Keller gefunden hatte. Würde Lillif wirklich etwas an ihm liegen, hätte sie ihn nicht dort versauern lassen.
Doch das, was gestern zwischen uns passiert war – die Wärme in seinen Augen, die Freude mich zu sehen… Lillif zu sehen – das hatte ich mir gewiss nicht eingebildet.
Allerdings ging mich die Situation zwischen ihnen auch nichts an.
Ich wollte es auch gar nicht versuchen zu verstehen.
Das war immerhin etwas zwischen den beiden und ich hatte auch meinen Stolz.
Das Problem war aber, dass ich im Moment Lillif spielte und mich die Beziehung der beiden damit sehr wohl beeinflusste.
Ich konnte schließlich nicht riskieren, dass der Weißhaarige meinen Aushilfsjob gefährdete, indem er mich enttarnte und dann vor allen bloßstellte. Solange wie ich auf das Geld in der Schenke angewiesen war, musste ich Lillifs Spiel daher weiterspielen. Allein schon weil ich vor Scham sterben würde, wenn er wüsste, dass ich das Mädchen war, das er damals gerettet hatte und das sich nun für die Frau ausgab, mit der er zusammenlebte.
Das konnte man ja auch völlig missverstehen.
Und da er immer noch auf eine Antwort wartete, musste ich mir gut überlegen, wie ich ihm gegenübertrete, damit er keinen weiteren Verdacht schöpfte.
Beziehungsweise dahinterkam, dass ich nicht Lillif war.
#85 Am 07.08.2022 um 16.50 Uhr
Die Zeit vergeht aber auch schnell. D:
Ich hoffe dein Sommer war (und ist noch) schön. Also, ich denke jetzt mal du warst im Urlaub. ^^
Ich finde den Job als Kellner oder Koch ja furchtbar. Ich würde mich zwar nicht doof anstellen, aber meine Laune wäre im Keller und würde in der Küche die ganze Zeit vor mich hinbrabbeln. :D
Und da isser ja, Valkyon. ^^
Ich muss ja gestehen...ich dachte mir so "wieso eigentlich so n Umweg, mit bedienen, kochen, dieser Blonden helfen" etc (die Gründe waren mir zwar klar, aber sie macht es sich so extrem kompliziert XD ) ... dann fällt die da die Treppe runter, und verschüttet beim nächsten Mal das Wasser...Ich denke mir "du hohle Nuss, wie verpeilt kann man sein. D: "
Ja und dann ist alles klar. XD
Das ist ne wirklich schöne Szene, spannend und n bisschen "hehe". :D
Schön, das Valky endlich wieder da ist. :)
Und das Bild ist so schick *.*
Hm...ich hatte mich ja eh schon gefragt, wieso Val im Keller rumliegt...verwundet und bewusstlos. Auch wenn ich es nicht mehr so im Kopf habe, könnte Val versucht haben Lif ja wegen der blonden Haare vor dem Monster zu beschützen und ist dabei auf Gegenwehr gestoßen...bei Vals Ausdrucksweise könnte ich mir das zumindest gut vorstellen..Lif denkt sie wird entführt und haut ihn KO, er fällt die Treppe runter und liegt nun da rum
Bin mal gespannt wie es nun wirklich war. :D
Letzte Änderung durch Meria (Am 07.08.2022 um 17.21 Uhr)
#86 Am 10.08.2022 um 13.56 Uhr
Liebe Ama,
es war Sonntagnacht ein toller Sommernachtstraum. Du aus deiner kurzen Pause zurück und wie du versprochen hast, deinen Part hochgeladen.
Erstmal noch mal großen Dank für dein tolles Episodenbild. Es ist wirklich der Hammer.
Die vielen kleinen Facetten passen hervorragend zu diesem Part. Wenn man das Bild aufmerksam betrachtet, sind die Augen von ihr ja blau und nicht rot wie bei Lilif. Es wäre sehr enttäuschend gewesen, wenn er in seinem nächtlichen Erleben Emilia nicht wiedererkannt hätte.
Zu deinem neuen Part möchte ich außerdem noch sagen, dass die Verwandlungstechniken in Eldarya doch sehr interessant sind. Wünschte ich mir in meinem Leben doch auch.
Ich hoffe, dass Valky die Realität bald erblicken kann.
Für dich und eure weitere Zukunft
GRATULATION!
Letzte Änderung durch Chihiro (Am 10.08.2022 um 13.58 Uhr)
#87 Am 14.08.2022 um 22.04 Uhr
*Räusper*
Ich danke Sakura/Chihiro hier mal ganz offiziell.
Und da sie das schon ein Stück weit angedeutet hat, würde ich auch offen – und vor allem stolz – verkünden: Ich habe im Juli geheiratet.
Deswegen auch die Sommerpause ; )
Daher danke für die Schmetterlinge, Sakura <3
Die mag ich ja am liebsten!
Und nun Bühne frei für den nächsten Part!
*von der Bühne tanz*
Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen.
Ich versuchte mich von meiner Sicht auf die Situation zu lösen.
Alle Gefühle, die der weißhaarige Ritter in mir auslöste, musste ich in eine Kiste sperren, denn meine Wut auf ihn und auch meine Sorge um seinen Zustand – das alles machte mich im Moment verdächtig. Es waren schließlich meine Gefühle und nicht unbedingt Lillifs.
Da mir Lillif aber auch keinen Leitfaden zu ihrem Leben hinterlassen hatte und mir ihre Absichten schon von Anfang an völlig schleierhaft waren, blieb mir nur ein Blick durch seine Augen. Wenn ich wissen wollte, was ihn davon überzeugte, dass ich Lillif war, musste ich sehen, was er in ihr sah.
Auch wenn ich da bislang sehr gemischte Eindrücke erhalten hatte, war Lillif in seinen Augen egozentrisch. Jemand, der nichts ohne einen Gegenwert tat.
Egal, ob das nun stimmte oder nicht – wenn er erwartete, dass Lillif nur freundlich war, weil sie etwas von ihm wollte, dann musste ich natürlich etwas von ihm fordern, um ihn zu überzeugen, dass ich sie war.
Doch was würde Lillif von ihm wollen?
Mir fiel nichts ein, daher überlegte ich, was ein Ritter wie er wohl bieten konnte.
„Du hast mich erwischt“, sagte ich und sah entschlossen zu ihm auf. „Es gibt tatsächlich etwas, das du für mich tun sollst. Finde heraus, wer hinter den Verunreinigungen im Brunnen steckt und sorge dafür, dass der Brunnen bewacht wird.“
Auch wenn sich eine zornige Falte auf seiner Stirn gebildet hatte und seine Augen schmaler waren als die Klinge eines Rapiers, sprangen seine Augenbrauen bei meinen Worten in die Höhe, als hätte ich ihn in seiner Deckung getroffen.
„Was?“ Er schien überrascht.
Das war nicht gut. So wie er reagierte, war ich mir sicher, dass Lillif eine solche Forderung nie an ihn stellen würde.
Aber ein Zurück gab es nicht. Das war nur noch verdächtiger.
„Ist die Aufgabe für dich etwa zu schwer?“, bohrte ich daher unbeirrt nach.
Er schnaubte, doch weniger aus Verwunderung, er lehnte sich sogar leicht zurück. Scheinbar war es nicht ungewöhnlich, dass Lillif ihm gegenüber herablassend reagierte. Dennoch blieb er skeptisch und stemmte seine Hände gegen die Hüften.
Gutes Timing, dachte ich. Denn das Handtuch begann gerade zu rutschen.
„Das sind interne Sicherheitsbelange eines Dorfes, für die ich keine Genehmigung habe“, sagte er.
Ich hob eine Augenbraue. „Also doch zu schwer oder ist es nicht wichtig genug?“
„Seit wann interessiert dich das Schicksal der Balenvianer?“
Sein Ton war wie ein Schlag ins Gesicht. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich glauben, dass er Lillif verachtete. Kein Wunder, dass sie ihn im Keller hatte vergammeln lassen – bei diesen Anschuldigungen. So ignorant konnte Lillif doch nicht sein, dass ihr das Leben der Dorfbewohner völlig egal war.
„Ich schlage vor, dass du deinen Job machst“, sagte ich und schob mich an ihm vorbei. „Ich werde solange meinen erledigen.“
Ehe er antworten konnte, war ich schon im Bad verschwunden und verriegelte die Tür.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Das lief nicht gerade optimal, aber seine Haltung ging mir ziemlich gegen den Strich. Wenn er mich so sehr verachtete, warum war er dann überhaupt noch da?
Und ja, ich weiß, dass er in mir Lillif sah, aber das änderte nichts daran, dass seine eiskalten Augen eben genau in meine Augen sahen. Wie konnte ich da bitte meine Gefühle in der Kiste behalten?
Abgesehen davon war Lillif vielleicht kein blonder Engel, aber mit Sicherheit auch kein Monster.
Ich meine, klar, sie hatte mich erst in diese Lage gebracht, aber das war irgendwo auch meine eigene Schuld gewesen. Ich hatte ihr immerhin erzählt, dass die Bestie es als Nächstes auf sie abgesehen hatte. Zwar konnte ich mich nicht mehr an das Gespräch erinnern, aber das ist zweitrangig. Es ist jedenfalls kein Wunder, dass sie Angst bekommen hat und abgehauen ist.
Vielleicht war es bei den beiden nicht anders gelaufen. Und alles ein riesen Missverständnis.
Schließlich war der weißhaarige Ritter im Vergleich zu einem gewissen Vampir so charmant wie ein Stück trockenes Brot. Würde mich nicht wundern, wenn Lillif ihm deshalb die kalte Schulter zeigte.
Wie dem auch sei. Ich zog mich um und spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken.
Es war sicher das Beste, wenn ich dem weißhaarigen Ritter beim nächsten Mal einfach gleich aus dem Weg ging.
Es half, dass ich keine Spur im Haus von ihm entdeckte, als ich das Bad wieder verließ.
So wie es aussah, war er entweder schon auf dem Weg, um mich als Betrügerin verhaften zu lassen oder er hatte doch die Biege gemacht.
Ich beschloss, es darauf ankommen zu lassen und in die Schenke zu gehen.
Zu meiner Erleichterung wartete dort kein Sondereinsatzkommando auf mich, sondern nur ein Wirt voller Tatendrang.
Nachdem die erste Schicht vorüber war, war ich mir jedoch nicht mehr so sicher, was schlimmer war. Damit wir bessere Publicity hatten, sollte ich zwischen Küche und Bedienung wechseln, was weder mir noch meinem Fuß passte.
Aber der Job machte mir Spaß und meine Laune füllte sich wie ein Glücksbarometer mit jedem Bisschen Trinkgeld, was ich erhielt.
Ich war so auf Trapp, dass ich den nächsten Gast zunächst nicht erkannte, der plötzlich am Tisch saß und schon neugierig durch die Karte stöberte.
„Ich nehme das Gemüsegratin an Gletscherveilchen und dazu zwei Gläser Elfentraubensaft, bitte.“
Ich starrte auf ihre langen blonden Haare und die Hörner, die ihr erhabenes Aussehen so betonten, ehe sie zu mir aufsah. Sie zu sehen freute mich so sehr, dass ich für einen Moment alles andere vergaß.
„Mercedes“, quiekte ich.
Sie lächelte mir entgegen und ich wäre ihr am liebsten um den Hals gefallen. Schließlich hatte ich noch ein Versprechen einzulösen.
Doch als sie mir mit einem munteren „Hallo Lillif“ antwortete, erinnerte ich mich, dass das nicht der richtige Moment dafür war.
Zeitgleich wurde mir bewusst, dass es neben dem weißhaarigen Ritter wohl noch jemanden gab, der Lillif kannte und vor dem ich mich besser in Acht nehmen sollte.
„Ich bringe dir sofort dein Essen.“ Ich hatte den Satz kaum zuende gesprochen, da war ich schon auf halbem Weg zurück in die Küche. Mercedes zu überlisten war wahrscheinlich noch schwieriger als den weißhaarigen Ritter. Daher sollte ich am besten gar nicht mit ihr reden. Nein, ich sollte wahrscheinlich nicht einmal in ihrer Nähe husten. Sie hatte so einen alles-durchdringenden Blick.
Am liebsten hätte ich die Küchenhilfe beauftragt, Mercedes ihre Bestellung zu bringen, aber diese war gerade Pause machen.
Daher biss ich in den sauren Apfel und brachte ihr das Essen schnell selbst.
Doch kaum hatte ich alles abgestellt und ihr vor dem Kehrtmachen einen guten Appetit gewünscht, da griff Mercedes nach meiner Hand.
„Setz dich doch, Kind“, sie zog mich sanft aber bestimmt zur Bank gegenüber. „Ich bin eigentlich hier, um mit dir zu reden.“
Hilfesuchend sah ich zum Wirt am Tresen, doch der nickte mir nur auffordernd zu.
Heute war er mir tatsächlich einen Tick zu gutherzig.
„Gern doch.“ Geschlagen schluckte ich meine Nervosität herunter und nahm dann mit einer Pobacke Platz, bereit die erste Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen, sollte dieses Gespräch aus dem Ruder laufen. „Aber in der Küche ist gerade wirklich die Hölle los. Ich kann nicht lange…“
„Bleib trotzdem, Lif“, unterbrach mich Mercedes und stellte mir dann eines der beiden Gläser mit Elfentraubensaft vor die Nase. „Ich weiß, wie das Leben in einer Küche ist. Falls man das überhaupt ein Leben nennen kann.“
Mercedes war auch Köchin? Tatsächlich wusste ich nicht viel über diese Frau. Ich kannte sie ja nur aus meinem kurzen Besuch im Vesta-Tempel. Sie war aber jemand, den man ziemlich schnell in sein Herz schließen konnte. Eine Sache, in der ihr Sakura wirklich sehr ähnelte.
„Dann solltest du das Essen aber auch genießen“, sagte ich ehrlich.
Sie lächelte. Diesmal über das ganze Gesicht und nahm einen ersten Bissen, der ihr einen überraschten Hickser entlockte. „Wo hast du gelernt so zu kochen?“
Ich räusperte mich verlegen, doch ihre Frage war keine bloße Schmeichelei.
Das merkte ich schon bei ihrem nächsten Satz.
„Ich habe es erst nicht glauben wollen, aber das sind Gerichte aus der alten Welt in eurer Speisekarte, stimmt’s? Sag schon, Lif. Wer hat dir das beigebracht?“
Das ging ja gut los.
„Meine Mutter“, antwortete ich dennoch ehrlich. „Sie kam aus der alten Welt.“
Ich hatte so ein Gefühl, dass man Mercedes nicht anlügen konnte. Am besten war es, wenn ich ihr die Wahrheit sagte und einfach ein paar Details wegließ. Zum Beispiel, dass ich ebenfalls nicht von hier kam. Meine menschlichen Wurzeln würde sie zwar abschrecken, aber…
„Wahnsinn!“ Sie beugte sich zu mir rüber. „Das müssen wir unbedingt einmal vertiefen. Aber am besten nicht hier.“
Meine Verblüffung war mir wohl ins Gesicht gemeißelt, denn sie knuffte mir in die Wange.
„Weißt du, mein Vater kam auch aus der alten Welt“, flüsterte sie und zwinkerte mir zu. „Ich bin daher nur Halbblut-Brownie. Kürzere Lebenszeit, schnelles Altern… aber dafür habe ich Einblicke in Erinnerungen einer Welt erhalten, die jenseits dieses fantastischen Reiches liegen. Inzwischen denk ich, dass das kein so schlechter Deal ist.“
Etwas verdutzt sah ich ihr beim Essen zu, als beobachte ich ein Raubtier bei seiner Fütterung.
Es hatte etwas seltsam Beruhigendes an sich.
Als sie fertig war, lehnte sie sich glücklich gegen die Rückenlehne der Bank und hielt zufrieden ihren Bauch. Dabei musterte sie mich genau und nickte dann, als würde das, was sie vor sich sah, zu der Meinung passen, die sie nun über mich hatte. „Zuerst war ich echt skeptisch, Lif. Aber inzwischen bin ich froh, dass ich dir mein Haus geliehen habe.“
Ich war froh, dass ich gerade aus dem Glas trank, denn so konnte ich mit dem Behälter meine überraschte Miene verbergen.
„Ehrlich“, sagte Mercedes. „Nachdem du so viel Ärger im Tempel verursacht hast… Ich hatte zwar Mitleid mit dir, aber ich konnte verstehen, dass die anderen Schwestern dich rausgeschmissen haben.“
„Aber du hast Lil… - ich meine mir - dennoch dein Haus anvertraut“, fasste ich ungläubig zusammen.
„Es ist gut, wenn sich jemand darum kümmert. So habe ich mehr Zeit für die Mädchen im Tempel. Zwischen Arbeit, Haus und Tempel zu pendeln war selbst mir zu viel. Und außerdem war Valkyon ja bei dir.“
„Val…ky… on“, wiederholte ich. Bis mich die Erkenntnis endlich einholte. Der weißhaarige Ritter.
Aber Moment mal, den Namen hatte ich schon woanders gehört.
Genau. Im Lager.
„Er ist der Anführer der Obsidian-Garde“, murmelte ich mehr zu mir selbst.
„Ja“, Mercedes rieb sich die Stirn. „Im Moment kein Aushänge-Schild, wenn du mich fragst, aber ich unterstütze sein Vorhaben der Bestie eine Falle zu stellen. Das dürfte das Image der Garde auch wieder aufpolieren. Wenn ich ihm also helfen kann, indem ich ihm hier eine Bleibe zur Verfügung stelle, dann mache ich das gern.“
Das Glas klirrte, als ich es mit zu viel Kraft auf den Tisch knallte.
War es möglich, dass Valkyon wusste, dass die Bestie es als Nächstes auf Lillif abgesehen hatte?
Natürlich. Wieso war ich denn nicht gleich dahintergekommen?
Deswegen war er bei ihr. Er wollte da sein, wo die Bestie zuschlug.
Schließlich war das auch von Anfang an seine Mission. Im Grunde gab es für ihn nichts Wichtigeres als die Bestie zu fassen.
Doch wenn Lillif von der ganzen Sache nichts wusste, dann war es gut möglich, dass er sie als unfreiwilligen Köder benutzt hatte und einem Risiko aussetzte, dass sie selbst nicht einmal kannte.
Mir wurde schlecht.
So etwas hätte ich ihm nie zugetraut.
Allerdings hätte ich ihm auch nicht zugetraut, mich allein in der Einöde zurückzulassen und auf seine Rückkehr zu warten.
Aber so war das eben mit der Hoffnung. Sie hatte immer zwei Gesichter:
Sie war Heilung und Gift zugleich.
Kommi
#88 Am 21.08.2022 um 19.42 Uhr
„Alles in Ordnung?“, fragte Mercedes und griff nach meiner Hand. „Du bist ganz blass, Kind.“
Nichts war in Ordnung.
Es machte mich fertig, dass der Weißhaarige noch viel weniger Ritter war als ich bisher gedacht hatte. Doch das bestärkte mich nur in meinem Beschluss ihm aus dem Weg zu gehen.
Ich durfte nicht zulassen, dass er nun Hoffnungen in mir weckte und ich am Ende wieder verletzt wurde.
„Es wird Zeit, dass ich wieder an die Arbeit gehe. Gerade sind noch mehr Gäste gekommen.“
„Sei vorsichtig. Vor allem mit dem Fuß.“
„Keine Sorge.“ Langsam hob ich mich von der Bank und räumte das Geschirr zusammen. „Ich teil mir meine Kräfte gut ein und die kleine Pause mit dir hat mir gutgetan. Außerdem danke ich für das Gespräch.“
„Danke für das Essen“, erwiderte sie und drückte mir ein mehr als großzügiges Trinkgeld in die Hand. „…und die Erinnerungen.“
Ich nickte freudig.
Doch bevor ich mich abwenden konnte, zog mich Mercedes noch einmal kurz zu sich heran, nahm mich in den Arm und senkte ihre Stimme. „Ich weiß, dass Valkyon auf der Suche nach jemanden ist, der ihm sehr wichtig ist und ich schätze es, dass du ihm dabei hilfst, Lif. Vergiss daher nicht, ihn loszulassen, wenn die Zeit gekommen ist. Falls dir das schwerfallen sollte, kannst du jederzeit zu mir kommen.“
Mit diesen Worten nahm sie ihre Tasche, zwinkerte mir aufmunternd zu und verließ dann die Schenke.
Einen kurzen Moment überlegte ihr nachzueilen und sie zu fragen, was sie damit meinte, doch ich sah durch die großen Fenstergläser des Gastraumes, dass sie draußen bereits in ein anderes Gespräch verwickelt wurde.
Mercedes war wohl echt beliebt.
Und ich wollte eigentlich kein Aufsehen erregen.
Außerdem gab es noch etwas anderes, um das ich mich kümmern musste.
Ich durfte mich schließlich nicht darüber aufregen, dass jemand sein Versprechen bricht, wenn ich nicht einmal meine eigenen halten konnte.
Daher eilte ich zum Tresen, wo ich einen Zettel, Tinte und eine Feder hervorkramte und verschwand dann mit dem Schreibmaterial in der Umkleide hinter der Küche.
Da ich nicht viel Zeit hatte, hielt ich mich kurz beim Verfassen des Schreibens.
„Hey“, rief ich der Küchenhilfe zu, als ich fertig war. „Geh raus und bringe Mercedes den Brief. Ein Gast hat den für sie dagelassen.“
„Sehe ich aus wie der Postbote?“
„Nein“, sagte ich und grinste. „Aber wie jemand, der seine Pause eine halbe Stunde überzogen hat und die Chance ergreifen sollte, sich deswegen keinen Ärger einzuhandeln.“
Sie brummte, riss mir den Brief aus der Hand und eilte dann auf die Straße.
Vorsichtig schlich ich ihr hinterher und sah vom Innenraum der Schenke durch das Fenster, wie sie Mercedes den Brief entgegendrückte.
Tatsächlich faltete Mercedes den Brief gleich auf.
Und las.
Während ihre Augen über die Zeilen sprangen, presste sie ihre Hand gegen den Mund und hielt die Küchenhilfe sofort zurück.
Doch nachdem diese nur ratlos mit den Schultern zuckte, sah Mercedes sich hastig in der Gegend um. Ich bekam fast Mitleid, doch ich konnte ihr nicht sagen, dass der Brief von mir war. Das würde zu viele Fragen aufwerfen.
Ob sie dem Inhalt glaubte?
Gern hätte ich den Brief in Ruhe gestaltet, doch ich war mir sicher, dass Mercedes kein schönes Papier oder wohlformulierte Sätze brauchte, um zu erfahren, dass ihre Tochter noch lebte.
Gerade, als ich fürchtete, dass Mercedes den Brief für einen geschmacklosen Scherz hielt, änderte sich der Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie drückte den Brief an ihre Brust, Tränen liefen ihr über die Wangen und erschwerten es mir zunehmend meine zurückzuhalten.
Sakuras Worte zu zitieren schien sie wohl zu überzeugen… und ihr Hoffnung zu schenken.
Daher kehrte ich mit einem Lächeln zu meiner Arbeit zurück. Ich versuchte meine Gedanken im bunten Treiben der Stimmen und Gerüche zu vergessen.
Tatsächlich war ich am Ende des Tages gedanklich so weit weg, dass ich nur noch beklommen nickte, als der Wirt mir meinen Anteil des Trinkgeldes reichte und die Summe meine Erwartungen weit übertraf.
Erst als der Wirt sich über den brünetten Tunichtgut aufregte, der ihn erst um ein Reittier angebettelt hatte, große Reden geschwungen habe und dann einfach nicht aufgetaucht war, wurde mir klar, dass ich ihn versetzt hatte ohne Bescheid zu geben. Er wartete auf Emil - und der musste ich wieder sein. Doch dafür war es heute schon zu spät.
Da die Läden am Ende meiner Schicht schon geschlossen hatten, beschloss ich morgen Früh gleich als Erstes den Amethyst beim Pfandleiher auszulösen und dem Schankwirt noch ein kleines Extra zu geben. Das sollte ihn beruhigen und ich hatte kein allzu schlechtes Gewissen, dass ich meine Stelle bei ihm so schnell wieder kündigen musste.
Dennoch musste ich mir bis dahin die Zeit vertreiben. Ins Haus wollte ich definitiv nicht.
Viel zu riskant, dass ich dem Weißhaarigen wieder begegnete. Ich wusste nicht einmal, was die größte Gefahr war. Dass ich mich verquatschte, ihn aus Frust eine verpasste oder vor seinem Erscheinen dahinschmolz.
Zum Wohle aller verbrachte ich die Nacht also im Freien.
Mein Weg führte mich über den Marktplatz, wo um diese Zeit nichts mehr los war. Nur zwei Wachen, die an einer Mauer standen und etwas grimmig dreinschauten.
Gut genug, beschloss ich.
Gegenüber von ihnen konnte ich mich zumindest auf den Bordstein setzen und Muster in das Pflaster ritzen.
Der einzige Zeitvertreib, gegen den mein schmerzender Fuß nichts einzuwenden hatte.
Und die Wachen zum Glück auch nicht. Sie schienen nach etwas anderem Ausschau zu halten und wandten sich ab, als ich mich neben den Brunnen setzte.
Doch das war mir recht.
Als sich der kleine Chestock nach einer Weile dazusetzte und ebenfalls ein seltsames Zeichen in den Boden nagte, fühlte ich mich sogar erstaunlich wohl.
Obwohl ich mich äußerlich so veränderte hatte, schien er mich genau zu erkennen. War vielleicht der Geruch.
Apropos.
Etwas roch eigenartig verrußt.
Ich sah mich um. Viel kannte ich in der Gegend nicht, von wo aus sich so ein verbrannter Geruch ausbreiten konnte. Da war zum einen der Vesta-Tempel, in dessen Innere die ewige Flamme loderte und zum anderen eine Schmiede auf der anderen Straßenseite, die über einen großen Hochofen verfügte.
Beide Orte kannte ich noch von meinem ersten Besuch in Balenvia vor ein paar Tagen, wo ich die eisernen Beinplatten des Weißhaarigen verkauft hatte, um genug Kapital für den Handel mit dem Sukkubus zusammenzubekommen. Übrigens: wirklich erstaunlich, was die Schmiedin für die Rüstung eines Gardenleiters bezahlt hatte. Allerdings war der Tempel zu weit weg und in der Schmiede brannte kein Licht mehr. Dafür wurde der Ruß-Geruch immer stärker.
Wind blies mir in den Rücken.
Als ich mich umdrehte, sah ich schließlich eine Gestalt auf mich zu kommen.
Groß mit Haaren wie der Mond. Sein Wesen im Übrigen nicht weniger wechselhaft.
Es war seltsam. Denn bereits in dem Moment, wo ich den weißhaarigen Ritter erkannte, fühlte ich sowohl Ärger, als auch Freude – was mich fast noch mehr ärgerte.
Ich wollte mich abwenden, doch da hatte er mich schon gesehen. „Lillif?“
„Val…“, murmelte ich als Antwort – den Rest seines Namens hatte ich aber schon wieder vergessen. Jupp. Ich war echt zu müde, um in Lillifs Rolle zu schlüpfen. Ich bekam ja nicht einmal seinen Namen auf die Reihe.
„Was macht Schwarz hier bei dir?“, fragte Val, bevor ich eine Ausrede fand, um ihn abzuwimmeln. Sein Blick ging direkt an mir vorbei.
„Hmm?“ Ich drehte mich dahin, wo seine Augen hinschauten. Doch außer mir und dem Gefährten war hier nichts.
Val sah sich suchend in der Gegend um. „Ist Chrome etwa auch hier?“
„Keine Ahnung…“, begann ich. Stockte. Moment! Ich sprang auf. „Chrome?“
In dem Moment wurde mir bewusst, dass Val den Wolfsjungen kennen musste, wenn sie beide in der Garde arbeiteten. Konnte es wirklich sein, dass Chrome hier war? Ging es ihm wieder gut?
„Typisch“, erklärte Val, noch bevor ich in Jubel ausbrechen konnte. „Der Junge ist wohl wieder bei einer Mission versackt.“
Der leicht väterlich-genervte Blick brachte mich sogleich auf den Teppich. Val wusste unter Garantie nichts von Chromes Zustand. Sonst würde er nicht so über ihn reden. Woher sollte Val das auch wissen? Er war seitdem ja nicht im Lager gewesen. Ich seufzte.
„Was ist Schwarz?“, fragte ich daher und versuchte mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
Val nickte in Richtung Boden.
„Der Chestock?“, deutete ich aus seinem Blick und näherte mich vorsichtig dem Gefährten. „Du bist Schwarz?“
Der Kleine machte einen surrenden Laut und flog dann auf mich zu, um es sich in der Kuhle meiner Schulter bequem zu machen.
„Ich dachte, Gefährten meiden dich“, sagte Val und rieb sich verwundert die Stirn.
Doch mir war für einen Moment völlig egal, ob ich mich damit verdächtig machte.
Chromes Gefährte... er hatte mich gefunden! Es war, als wäre Chrome selbst die ganze Zeit an meiner Seite gewesen. Gerührt kraulte dem kleinen Chestock den Rücken, während er mir etwas aus dem Augenwinkel wischte, als wüsste er genau, was mir durch den Kopf ging.
„Das mit dem Brunnen war übrigens eine gute Idee“, sagte Val ungeachtet meines Schweigens. Ich verstand zunächst nicht ganz, was er meinte, bis ich einen Blick in den Brunnen neben uns warf. Man sah zwar nicht fiel, aber… „Es riecht sauber.“
„Die hauptverantwortlichen Verschmutzer sind gefasst worden“, erklärte Val und lehnte sich gegen den Stein. „Allerdings hat sich bei den Ermittlungen gezeigt, dass vielen Söldnern ein Bewusstsein für sauberes Trinkwasser fehlt. Ich habe daher mit dem Dorfrat gesprochen und sie teilen deinen Vorschlag, den Brunnen zu bewachen.“
Dabei deutete er auf die zwei Männer auf der anderen Straßenseite.
Ich sah zu ihm auf. „Du hast das in die Wege geleitet?“
„War tatsächlich nicht einfach. Der Hauptmann ist auf mich nicht gerade gut zu sprechen.“
„Weil du ein Mitglied der Garde bist.“
„Ja.“ Ohne eine Miene zu verziehen, stieß er sich vom Steinrand ab.
Es überraschte mich ein wenig, dass er meiner Bitte von heute Morgen nachgekommen war, obwohl seine Position im Augenblick nicht die Beste dafür war. Aber anscheinend ließ er sich nicht davon abhalten, sein Gardisten-Ding durchzuziehen – selbst wenn man die Gardisten im Moment nicht hierhaben wollte.
Sein Pflichtbewusstsein war ja eigentlich ganz süß.
„Wie dem auch sei. Ich habe Essen mitgebracht“, sagte Val und nickte mir, ihm zu folgen. „Wir sollten zurück ins Haus gehen.“
Doch anstatt ihm zu folgen, schüttelte ich den Kopf.
„Ich habe keinen Hunger“, erklärte ich – musste mir aber von meinem knurrenden Magen widersprechen lassen. Dieser Verräter.
„Komm“, schnaubte Val belustigt und stiefelte an mir vorbei. „Es gibt da etwas, das ich dich fragen möchte – und ich habe die Hoffnung, dass du heute darauf antworten könntest. Außerdem teile ich mein Essen nur solange wie etwas da ist.“
Ich überlegte kurz, bis ich neben dem penetranten Aschegeruch noch etwas anderes an ihm wahrnahm. „Brot?“
Nicht gerade die kulinarische Explosion, auf die ich gehofft hatte. Vor allem nachdem, was ich heute alles gekocht hatte.
„Alte Brotreste vom Bäcker“, sagte er. „Ich habe sie eingeweicht und will sie nochmal aufbacken.“
Es klang, als wollte er mich abschrecken.
Doch seine Stimme klang so weich, dass ich ihm auch einen alten Reifen aus der Hand gefuttert hätte.
Na gut. Vielleicht war ein Essen noch drin.
Mit vollem Mund musste ich immerhin nicht so viel sprechen.
Und wenn meine Entscheidungen heute Lillif in die Bredouille brachten, dann war das ihr Problem.
„Wenn ich vor dir da bin, kriege ich dann den größeren Anteil?“, fragte ich und eilte hastig an ihm vorbei.
Sein Mundwinkel zuckte nach oben. „Du wirst nicht vor mir da sein.“
Letzte Änderung durch Ama (Am 25.08.2022 um 19.17 Uhr)
#89 Am 28.08.2022 um 17.03 Uhr
Natürlich kam ich nicht als Erstes an.
Ich konnte mich glücklich schätzen, wenn ich überhaupt ankam.
Nachdem ich auf halber Strecke umgeknickt war, ließ Val sich trotz meines Gezeters aber nicht davon abhalten, mich auf den Rücken zu heben und den Rest des Weges zu tragen. Es war mir ein Rätsel, wie ein Mann so abweisend und gleichzeitig so beharrlich ritterlich sein konnte.
„Du kannst mich jetzt runterlassen.“ Ich versuchte meine Beine aus seinem Griff zu befreien, aber das war wie ein Kampf gegen Eisenketten.
„Hör auf zu zappeln“, murrte er. „Es ist nicht das erste Mal, dass ich dich trage, Lillif. Also bleib ruhig.“
Ich grummelte und vergrub mein Gesicht in seinem Rücken. „Warum tust du das überhaupt? Darum habe ich dich echt nicht gebeten.“
Er seufzte. „Deshalb ja.“
Mit einem Ruck schob er mich noch ein Stück höher.
Ich verstand ihn einfach nicht.
Und so verbissen wie er vor sich hin schwieg, hatte ich den Eindruck, dass er sich selbst nicht so recht verstand.
Erst als wir das Haus erreichten, ließ er mich runter und trug mir auf, im Wohnzimmer auf ihn zu warten. Er schien sich auf Gegenwehr vorbereitet zu haben, denn als ich einfach nur nickte, blies er die angestaute Luft aus seinen Lungen, ehe er stirnrunzelnd in der Küche verschwand.
Da Schwarz wieder raus in die Nacht flatterte, setzte ich mich allein auf die Couch und stützte meine müden Arme auf den Tisch davor. Rechts von mir führte eine Treppe nach oben ins Bad und zu den Zimmern, links von mir war die Tür zur Küche und zum Keller. Es war erstaunlich, dass mir bisher nicht aufgefallen war, wie modern das Haus aufgebaut war. Ob Mercedes‘ Vater es nach einem Vorbild aus seiner Heimat - meiner Welt - gebaut hatte? Es kam mir zumindest für einen Moment so vor, als säße ich auf meiner eigenen Couch und alles, was ich bisher erlebt hatte, wäre der Nachklang eines Filmes, bei dem ich auf halber Spielzeit eingeschlafen war. Doch es war tröstlich zu wissen, dass schon vor mir Menschen in diese Welt gelangt waren und sich ein neues Leben aufbauen konnten.
Ob es hier noch mehr Menschen gab?
Ich hoffte, dass Mercedes mir die Täuschung verzieh und ich sie später dazu befragen konnte. Vorausgesetzt, ich hatte dann noch die Kraft zurück nach Balenvia zu reisen.
Denn wer weiß, in welchem Zustand ich war, wenn der Sukkubus mir erst einmal dreißig Jahre meines Lebens entzogen hatte. Ob ich auch äußerlich alterte?
Nicht, dass das an meinem Entschluss etwas änderte – zumal ich mich schon daran gewöhnt hatte, dass mein Spiegelbild nicht zu mir passte.
Als Val nach ein paar Minuten wiederkam, hatte er Essen und eine Schüssel mit schmerzlindernder Salbe dabei, die er wohl frisch angerührt hatte.
„Für deinen Fuß“, sagte er.
Ich nahm ihm die Schüssel ab, stellte sie jedoch zunächst beiseite.
„Willst du nicht etwas davon auf den Knöchel verteilen? Das sieht schmerzhaft aus.“
„Erst essen wir“, sagte ich und wartete, bis er sich ebenfalls auf die Couch gesetzt hatte. Zwischen uns war immer noch der größtmögliche Abstand, den das Möbelstück bieten konnte, was ich zwar etwas albern fand, mir aber irgendwo auch sehr gelegen kam. So konnte er nämlich nicht hören, wie mein Herz zu rasen begann, als mir plötzlich klar wurde, dass wir nun ganz allein zu zweit waren.
„Du wolltest mit mir reden“, sagte ich und schob mir schnell ein Stück Brot in den Mund. Es war knusprig. Val hatte anscheinend zwei Laibe in kleine Stücke geschnitten und sie in einer Pfanne angebraten.
„Ja“, sagte er, während ich mir noch zwei weitere Stücke in den Mund schob. „Ich will wissen, warum du mich bewusstlos in den Keller gesperrt hast.“
Das Brot blieb mir im Hals stecken.
Lillif hatte was?
Ich hustete.
Sollte ich es abstreiten? Nein. Das würde ihn noch wütender machen. Außerdem wusste ich ja nicht, was Lillif getan hatte und was nicht.
„Keine Ahnung“, erwiderte ich vorsichtig.
Er sah mich weiterhin wartend an. Irgendetwas sollte ich ihm noch sagen.
Irgendwas Wahres am besten.
„Ich bin froh, dass es dir wieder gut geht“, murmelte ich.
Er sah mir lange in die Augen, doch was er dort sah, schien ihn nur noch mehr zu verunsichern.
„Seltsam“, sagte er und lehnte sich zurück. „Ich hätte wetten können, dass du darauf brennst, mir deine Überlegenheit unter die Nase zu reiben oder dass du irgendeine Lüge erfindest.“
Da war er wieder.
Dieser verächtliche Blick.
Doch diesmal sah er an die Decke und verschränkte die Arme.
„Du hast dich umgezogen“, stellte ich fest. Ich sagte es nicht nur, um das Thema zu wechseln, sondern weil es mir aus einem bestimmten Grund aufgefallen war. „Wolltest du den Geruch von Asche loswerden?“
„Das geht dich nichts an“, schnaubte er.
Ich seufzte. Wenn er so abweisend war wie jetzt, dann hatte es echt keinen Sinn mit ihm zu reden. Also stand ich auf.
„Du gehst?“
Ich nickte. „Ich habe noch etwas zu erledigen. Weißt du zufällig, ob hier eine Mütze im Haus ist?“
Wenn ich dem Wirt morgen als Emil gegenübertreten wollte, dann musste ich schließlich meine Haare verbergen. Die Schminke ließ sich zum Glück leicht abwaschen und meine alte Kleidung sollte auch noch in Lillifs Zimmer liegen, doch die blonden Haare waren zu auffällig und eine Kapuze allein war mir zu riskant.
Anstelle einer Antwort stand Val auf. „Ich bringe dir eine Mütze.“
„Das kann ich selbst“, widersprach ich. „Du hast ja noch nicht einmal gegessen.“
Doch bevor ich gehen konnte, drückte er mich zurück auf den Sitz. „Ich habe keinen Appetit. Kümmere du dich lieber um deinen Fuß. Falls wir spontan weiterreisen müssen, sollte das besser verheilt sein.“
Du meinst, wenn spontan die Bestie aufkreuzt, sollte ich wenigstens eine Chance haben dürfen, mich in Sicherheit zu bringen, ergänzte ich in Gedanken. Den Kommentar sparte ich mir aber.
Zumal er eh schon verschwunden war.
Um mich etwas zu beruhigen, wusch ich das Geschirr ab.
Mein Verstand riet mir, mich von ihm fernzuhalten, doch irgendwie war da etwas in der Luft, wenn wir zusammen waren, dass ich nur schwer von ihm loskam. Egal, wie unausstehlich er sein konnte – an seiner Seite fühlte sich die Welt wie ein Moment der Ruhe im Auge des Sturmes an… Ich fragte mich, ob es ihm ähnlich ging.
Stopp!
Ich klatschte mit meinen nassen Händen gegen meine Wangen.
Das alles würde morgen eh enden.
Ich musste nur die nächsten Stunden überstehen. Dann war das alles vorbei.
Eine Erkenntnis, die mich sowohl beruhigte als auch schmerzte. Aber lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Als Val schließlich mit einer roten Mütze in der Hand wiederkam, die mich ein bisschen an die erinnerte, die ich bei meiner Ankunft in Eldarya getragen hatte, wandte ich mich schnell ab, um heißes Wasser aufzusetzen.
Ich brauchte dringend einen Tee, um die Geister der Vergangenheit zu vertreiben.
Es war, als wollte er mich testen.
Doch ich war mir nicht sicher, ob ihm das selbst so bewusst war. Er wirkte fast ein bisschen gedankenversunken.
„Das ist nicht stabil genug“, sagte Val mit Blick auf meinen Fuß und legte die Mütze beiseite. „Du musst den Verband mit einer Schiene fixieren, damit das Gelenk nicht zu viel Spielraum hat.“
Er griff nach einem Schuhlöffel und kam dann auf mich zu.
Ich hatte kaum Gelegenheit mich festzuhalten, da hatte er schon nach meinem Bein gegriffen und den Verband abgewickelt. Es war eigenartig, ihn so vor mir knien zu sehen.
Es erinnerte mich an damals im Wald, wo er nach der Auseinandersetzung mit dem Grookhan einen Gürtel aus seiner Bandage um meine Hüfte gewickelt hatte.
Vielleicht war es diese Erinnerung, warum ich nun etwas verloren herumstand, während er meinen Fuß neu bandagierte. Vielleicht aber auch die Tatsache, dass sich seine kühlen Finger auf meinem heißen Knöchel einfach unsagbar gut anfühlten.
„So, das sollte halten“, sagte er und machte einen letzten Knoten. „Vorausgesetzt, du belastet ihn nicht wieder so stark. Musst du morgen auch zur Arbeit?“
Etwas überrascht davon, wie viel ehrliches Interesse in seinen Worten lag, nickte ich nur. Auch wenn ich morgen kündigen werde, war es besser, wenn er das glaubte und bis zum Abend nicht nach mir suchte.
Seine Augenbrauen hoben sich, während er mich von Kopf bis Fuß betrachtete.
Ich war nicht sicher, ob er bei dem vagen Kerzenschein viel sehen konnte, aber mir entging der Unglaube in seinem Blick keineswegs. „Du bist überrascht, dass ich einen Job bekommen habe.“
Seine Miene verriet mir sofort, dass ich mit meiner Deutung wohl ins Schwarze getroffen hatte.
„Du hast dich wirklich kein Stück geändert“, sagte ich und beugte mich zu ihm vor. „Du unterschätzt die Leute immer noch.“
„Willst du mir etwa weißmachen, dass Leute sich so schnell ändern könnten?“ Seine Augen verengten sich, während er mich ansah, doch die Falte auf seiner Stirn löste sich etwas.
„Du wärst überrascht.“ Ich hob einen Mundwinkel, als ich darüber nachdachte, welchen Wandel ich seit meiner Ankunft in Eldarya durchlebt hatte. „Ich habe einiges gelernt.“
Dabei zog ich an seinem Hemd, um es ihm über die Schulter zu streifen. Das war deutlich einfacher, wenn er vor mir kniete. Zumindest bis zu dem Moment, wo seine Finger mein Handgelenk festhielten.
„Was?“, fragte ich und funkelte ihn herausfordernd an. „Hast du echt geglaubt, du könntest mir ungefragt den Fuß bandagieren und ich lasse dich mit deinen Verletzungen davonkommen?“
Wundversorgung war immerhin eine der Dinge, die ich inzwischen erstaunlich gut beherrschte.
Val antwortete jedoch nicht.
Er hielt mich sogar noch fester, während er mit seiner anderen Hand über eine der vielen Narben meines Handgelenkes strich.
„Seit wann…“, begann er verwundert., „Lillif, woher hast du die?“
Ich biss mir auf die Lippen.
Ich hätte meine Arme genauso wie mein Gesicht pudern sollen. Wieso hatte ich daran nicht gedacht? Emilias – meine Hände – passten so gar nicht zu Lillifs feiner Erscheinung.
Anstelle ihm zu antworten, versuchte ich mich loszureißen, denn ich wollte nicht, dass er meinen geschundenen Körper sah. Zum einen, weil ich mich dafür schämte, zum anderen aber auch, weil Val es damals war, der die Splitter aus meiner Haut ausgebrannt hatte, nachdem der brennende Schuppen über uns eingestürzt war.
Und es schien, als ginge ihm etwas Ähnliches durch den Kopf, denn er strich sanft über die Risse meiner Finger als würde er eine Erinnerung von ihrem angesetzten Staub befreien.
Letzte Änderung durch Ama (Am 01.09.2022 um 08.03 Uhr)
#90 Am 04.09.2022 um 19.26 Uhr
Ich wusste, dass ich Val einen plausiblen Grund für meine Narben schildern musste, damit er nicht weiter nachbohrte und doch noch dahinterkam, wer ich wirklich war.
Und da half es, dass er mir zuvor etwas über Lillif und ihre schlechte Beziehung zu Gefährten verraten hatte.
„Das war ein Siturch“, sagte ich daher und setzte eine theatralische Miene auf. „Er kam einfach aus dem Nichts und hat mich einfach gekratzt. Ein riesen Massaker sag ich dir.“
Val hob ungläubig eine Augenbraue. „Du magst ja speziell sein, Lillif, aber ausgerechnet ein Siturch? Die sind alles andere als aggressiv.“
Anscheinend merkte er mir sofort an, dass ich ihm nicht die Wahrheit erzählte.
Zugegeben, ich war auch keine gute Lügnerin.
Doch nachdem ich nur unnachgiebig das Kinn hob und mich zwischen ihn und den Schein der Kerze drängte, damit mein Schatten meine Arme verdunkelte, runzelte er die Stirn.
Erstaunlicherweise schien ihn meine Lüge mehr davon zu überzeugen, dass ich Lillif war, als jede glaubhafte Ausrede, die ich ihm hätte präsentieren können.
Er senkte den Blick, als wüsste er genau, dass ich ihm nicht mehr verraten würde.
Allerdings hielt seine Hand noch immer meine starr umfasst.
Er schien es nicht einmal zu bemerken, sondern irgendwo in seinen Gedanken verloren zu sein.
Obwohl ich noch immer daran zog, rührte er sich kein Stück. Es war, als wären unsere Hände auf magische Weise miteinander verschmolzen.
Nicht, dass es unangenehm war, seine Haut auf meiner zu spüren und sein Griff tat auch nicht weh, doch ich wollte nicht, dass er spürte, wie rau meine Hände waren.
Abgesehen davon – ich schluckte meine Eitelkeit herunter – ging es jetzt nicht um meine alten Verletzungen, sondern um seine.
Ich zischte laut. „Zeig mir wenigstens deinen Rücken, Val. Den kannst du allein sowieso nicht versorgen.“
Bei diesen Worten biss er sich schließlich auf die Lippen.
Ohne mich anzusehen, ließ er meine Hand los und drehte sich dann so, dass ich gut an die Schulter herankam.
Allerdings brauchte ich von dem Hemd nicht viel herunterziehen, um zu sehen, dass er es ganz ausziehen musste. „Eine Stelle muss genäht werden. Die Salbe gestern war nicht ausreichend, um die Wunde zu verschließen. Wenn wir das nicht gleich machen, wird es weiter aufreißen.“
Er hätte mich echt nicht tragen sollen, dieser störrische Dummkopf.
Ohne auf eine Antwort zu warten, suchte ich nach einem Faden und einer Nadel, die ich am Herd ausbrannte, ehe ich damit auf ihn zukam.
„Ich dachte, du kannst kein Blut sehen“, sagte Val, als ich die Haut zusammenzog und mit der Nadel hindurchstach.
Er zuckte nicht einmal.
„Irgendwie habe ich gestern ja auch deine Wunden versorgt“, sagte ich nur ausweichend.
„Stimmt“, murmelte er. „Dafür habe ich dir noch gar nicht gedankt.“
Ich grinste. „Jetzt wäre ein guter Moment.“
Ein belustigtes Schnauben entwich seiner Kehle. „Du bist ganz schön direkt“, sagte er. Diesmal klangen seine Worte aber weniger nach einem Vorwurf. „… doch du hast Recht. Was auch gewesen ist… Gestern hast du mir das Leben gerettet… Daher danke…“
Ich räusperte mich, um mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine Worte freuten. Wenn er nicht gerade brummte, hatte seine tiefe Stimme echt etwas Betörendes.
„Der Verband hat heute zum Glück gut gehalten. So tief wie die Wunde ist, hättest du sonst den Stoff deines Hemdes längst vollgeblutet“, sagte ich in die Stille hinein.
„Dann habe ich dir doppelt zu danken. Das ist nämlich nicht mein Hemd“, sagte er. „Es gehört Mercedes‘ Ehemann.“
„Achja? Ich wusste gar nicht, dass Mercedes einen Mann hat… Lebt er auch in diesem Haus?“
„Nein, er ist schon lange verstorben.“
Oh. Bevor ich das Ganze verarbeiten konnte, sah Val zu mir hoch. „Von daher ist es gut, dass wir das Hemd nicht ruiniert haben. Mercedes hat nicht viele Erinnerungsstücke von ihm und eines liegt schon zerstört im Keller.“
Ich verstand, was er meinte. Nach dem Tod meiner Eltern, hatte ich ihre Habseligkeiten auch gehütet wie Schätze.
„Kanntest du ihn?“, fragte ich. „Mercedes Mann, meine ich.“
„Nicht wirklich. Ich weiß nur, dass Mercedes damals ziemlich plötzlich die Garde verlassen und ihn geheiratet hatte.“
„Dann muss sie ihn sehr geliebt haben“, sagte ich.
„Vermutlich… aber wie kommst du gerade jetzt darauf?“
Ich dachte daran zurück, wie Mercedes über Val und die anderen Gardisten gesprochen hatte. „Ich habe sie heute getroffen. Sie sprach mit so viel liebevoller Besorgnis von der Garde… Ich bin mir sicher, dass ihr der Abschied damals nicht leichtgefallen ist. Es ist reine Spekulation, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass sie die Garde nicht leichtfertig verlassen hat. Und Liebe ist bekanntlich ein guter Grund.“
Val seufzte, warf mir aber einen zweifelnden Blick zu.
„Was ist?“, fragte ich. „Liege ich etwa falsch?“
„Ganz im Gegenteil“, murmelte Val, seine Stimme wurde immer leiser. „Ich bin nur überrascht… wenn auch nicht von Mercedes.“
Ich verstand nicht, was er meinte, konnte aber sehen, dass er seinen Blick nicht von mir wandte. Und das, was er in dem spärlichen Licht sah, schien ihm Kopfschmerzen zu bereiten, denn er rieb sich die Stirn.
Da er jedoch nicht den Eindruck machte, mich in seine Gedanken einzuweihen, versuchte ich mich wieder auf die Naht zu konzentrieren.
Was im Übrigen gar nicht so leicht war. Auch als er sich wieder nach vorn drehte. Seine Haut war weich, doch sie begann zu zucken, als ich mit der Behandlung fortfuhr. Und unter meinen Fingern spürte ich, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.
Ob ihm das Zunähen doch mehr Schmerzen verursachte als er zugab?
Ich versuchte vorsichtiger zu sein: Weniger Druck und langsamere Bewegungen.
Allerdings schien es das noch zu verschlimmern. Ich hatte Schwierigkeiten die Nadel ruhig zu führen, da sich sein Brustkorb und damit sein gesamter Oberkörper schneller hob und senkte. Auch dann, wenn die Nadel nicht einmal in der Nähe seiner Haut war. Oder waren meine Hände einfach zu rau? Ekelte ich ihn?
Gerade als ich eine Pause vorschlagen wollte, blies er bedächtig die Luft aus den Lungen.
„Ich war heute bei den Ruinen im Wald vor Balenvia“, sagte er schließlich. „Es gab gestern wohl einen Feuerausbruch.“
„Die Bestie?“, fragte ich sofort und zog meine Finger ein Stück von ihm zurück.
Doch er wog nur langsam den Kopf und lehnte sich nach hinten – soweit, dass sein Rücken meine Arme streifte. „Das ist schwer zu sagen. Laut Brandspuren schon, aber es gibt keine Zeugenaussage, die das bestätigt.“
„Wie kann das sein? Ich dachte, die Bestie wäre nicht zu übersehen.“
„Meistens passiert der Angriff mitten in der Nacht, wenn alle schlafen - und inmitten des Chaos konzentrieren sich die meisten auf die Flucht und nicht auf den Angreifer. Doch bei diesem Feuerausbruch kommt noch hinzu, dass viele der Flüchtlinge gar nicht hierher, sondern ins Lager der Garde gegangen sind, um sich dort versorgen zu lassen. Als ich heute ankam, war von dem Dorf nicht mehr viel übrig und kaum einer da, den ich zu den Ereignissen befragen konnte.“
Ich runzelte nachdenklich die Stirn. Daher rührte also der Aschegeruch seiner Kleidung.
Irgendwie schmeichelte es mir, dass er mir das nun doch anvertraute. Auch wenn ich mich fragte, warum er seine Meinung plötzlich geändert hatte.
Allerdings schien ihn das Gespräch etwas beruhigt zu haben, denn er lehnte sich entspannt zurück, als ich erneut an dem Faden zog. Ich schloss flink die Naht und holte dann noch etwas Salbe, die ich großflächig auf seinem Rücken verteilte.
„Aber wenn ich dich richtig verstanden habe, dann sind die Brandspuren der Bestie anders als normale Feuerspuren, oder?“, fragte ich weiter.
Er nickte und zog eine Phiole aus seiner Hosentasche. Kurz beugte ich mich vor, um den Inhalt näher in Augenschein zu nehmen.
Die Asche, in dem Behälter schimmerte leicht rötlich. „Brennt die Asche noch?“
Er schüttelte den Kopf. „Das Feuer, was dort im Wald gewütet hat, ist nicht mit normalem Feuer zu vergleichen. Ich kann dir nicht sagen, woher der rötliche Staub in der Asche kommt, aber mir ist aufgefallen, dass es ein Überbleibsel von jedem Feuerangriff ist, an dem die Bestie beteiligt war.“
Ich begann zu frösteln, als ich daran dachte, wie wir damals den Jungen und seinen Gefährten aus dem Schuppen befreit hatten. Für mich hatte sich das Feuer in keiner Weise unnormal angefühlt, doch es war schon erstaunlich mit welcher Intensität es gebrannt hatte. Gerüchten zufolge sollen die Flammen sogar einen eigenen Willen haben.
„Hast du auch von anderen Brandplätzen Proben genommen?“, fragte ich.
„Nein“, er steckte die Phiole wieder weg. „Daher werde ich das morgen noch einmal genauer untersuchen.“
„Dann solltest du morgen vielleicht deine eigenen Sachen tragen“, sagte ich und legte den neuen Verband an. „Der Geruch nach Asche ist zwar nicht so hartnäckig wie Blut, aber auch nicht leicht aus der Kleidung zu entfernen.“
Doch anstatt mit einem gewohnten Nicken meinen Vorschlag anzunehmen, lachte er kurz auf. Glaubte ich zumindest. Ich hatte ihn vorher nie wirklich lachen gehört.
Es war, als wäre ich Zeuge eines Weltwunders geworden.
„Hole dir ruhig ein frisches Hemd“, sagte ich etwas perplex und löste meine Hände von ihm. „Solange kann ich hier warten.“
Er drehte sich zu mir um. Und kaum erblickte er mein verdutztes Gesicht, musste er breit grinsen. „Nette Idee, aber ich habe nur ein eigenes Hemd, wie du weißt.“
Natürlich wusste ich das nicht, aber ich nickte trotzdem. Zugegeben, sein Lächeln brachte mich etwas aus dem Konzept.
Und sein Grinsen ebbte bei meiner Reaktion nicht ab.
Im Gegenteil.
Es wurde sogar einen Hauch süffisanter.
Ich stockte, als er gegen den Gürtel meiner Taille tippte. „Ich wollte ja erst nichts sagen“, begann er, „aber du hast einen Schrank voller Klamotten Lillif. Gibt es da einen Grund, warum du ausgerechnet mein einziges Hemd trägst?“
Ungläubig blinzelte ich auf mein improvisiertes Kleid… also das Hemd, was ich mit dem Gürtel zu einem Kleid umfunktioniert hatte, weil alles andere in Lillifs Kleiderschrank einfach untragbar war.
Doch in dem Moment wurde mir klar, warum mir sein Aftershave so vertraut vorkam.
Das Hemd hatte danach gerochen… was hieß… dass ich gerade sein Hemd trug…
Mein Gesichtsausdruck schien ihm zu genügen, denn er sah mich herausfordernd an. „Willst du echt, dass ich es mir jetzt von dir hole?“
Die Farbe glitt aus meinem Gesicht, zirkulierte einmal in meinem Körper wie ein tosender Tsunami und schoss mir dann mit geballter Kraft zurück in den Kopf.
Mir platzte fast der Kopf so peinlich war mir die Vorstellung.
Als ob ich wollte, dass er mir das Hemd auszog.
Vor allem, da er ja bereits mit freiem Oberkörper vor mir saß. Ein Umstand, der mir erst in diesem Moment wirklich bewusst wurde und mich vor Scham erstarren ließ.
Währenddessen krümmte er sich vor Lachen.
In dem Moment hätte ich ihm am liebsten mit der Nadel erdolcht, so sehr wie er sich über meine Reaktion zu amüsieren schien.
Unsere Blicke trafen sich.
Sein Lachen flachte schließlich ab.
Dafür wurde sein Blick ernster, was meine Wangen aber noch mehr zum Glühen brachte.
Vorsichtig hob er eine Hand.
Ich zuckte, da ich nicht wusste, was er vorhatte.
Doch selbst, als er mir mit seinen Fingern vorsichtig eine verklebte Strähne aus den feuchten Wangen strich, war ich unfähig, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen.
Ich war mir sicher, dass mein Puls durch den ganzen Raum vibrieren musste. Wie ein Morsecode, der ihm all meine Gedanken und all meine Gefühle zuspielte. Doch nicht nur mein Puls schien mich zu verraten.
„Seit wann wirst du so rot, Lillif?“, fragte Val schließlich. „Das passt echt nicht zu dir….“
Seine Stimme war so leise wie seine Finger kühl. Nur seine Augen strahlten diese vertraute Wärme aus. Es war genau wie immer Keller. Und schon wieder traf es mich völlig unvermittelt.
„Ich bin nicht…“, begann ich zögerlich, ohne meinen Blick von seinen goldenen Augen abzuwenden. Es war beinahe hypnotisierend. Vielleicht sprach ich deshalb einfach aus, was ich in dem Moment dachte. „Ich bin nicht die, für die du mich hältst.“
Letzte Änderung durch Ama (Am 05.09.2022 um 09.31 Uhr)
#91 Am 11.09.2022 um 18.56 Uhr
Val verstand es echt, mit meinen Gefühlen Achterbahn zu fahren. Als würde er mich mit seinen Blicken von einem eisigen Polarberg direkt in ein heißes Loch in der Wüste schießen.
Doch ganz egal, wie sehr der Sturm in mir tobte: Ich durfte nicht vergessen, wer ich war und welche Ziele mich antrieben.
Während Val mich also ansah, als erwarte er eine salbungsvolle Kundgebung, sperrte ich sämtliche Gefühle, die er in mir entfacht hatte, zurück in die Kiste der entlegensten Ecke meines Herzens.
„Interessiert dich wirklich, wer ich bin?“, fragte ich trotzig und seufzte laut, bevor er antworten konnte. „Du hast dein Urteil über mich doch schon längst gefällt, Val. Warum solltest du das wegen eines einzigen Tages überdenken? Und im Grunde spielt die Wahrheit auch gar keine Rolle, weil ich morgen schon wieder jemand ganz anderes sein könnte. Manchmal täuschen wir andere, manchmal einfach nur uns selbst.“
„Verstehe.“ Seine Stirn zog sich zusammen, er senkte den Blick und griff nach dem alten Hemd von Mercedes Mann, um es sich wieder überzustreifen. „Ich habe mich wohl geirrt.“
Ich spürte, dass es ihm plötzlich wahnsinnig unangenehm war, in meiner Nähe zu sein. Und mir ging es ähnlich.
Ich fühlte mich wie ein Dieb.
Als hätte ich einen Moment gestohlen. Einen Moment, der gar nicht mir gehörte, den ich aber auch nicht wieder hergeben wollte.
Egal wie kompliziert die Beziehung zwischen Lillif und Val auch war, ich spürte, dass es ihm genauso schwerfiel, in ihrer Nähe zu sein wie von ihr loszukommen.
Und obwohl ich ganz genau wusste, dass ich nicht Lillif war und rein gar nichts von den Gefühlen, die er für sie übrighatte, mir galten, bekam ich sein sanftes Lächeln einfach nicht aus meinem Kopf. Und je wärmer sein Blick wurde, desto mehr schmerzte mich meine dumme Eifersucht.
Am Ende war ich es wohl, die auf meine eigene Täuschung reingefallen war.
Beschämt strich ich mir durch die Haare und wandte mich zum Gehen, bis etwas am Fenster meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Meine Augen weiteten sich schlagartig, als ich die Schemen in dem vagen Licht erkannte.
„Der Chestock“, murmelte ich und wurde dann lauter. „Wir müssen ihn aufhalten!“
Doch bevor Val reagieren konnte, drängte ich mich schon an ihm vorbei.
„Warte, Schwarz!“, rief ich, riss das Fenster auf und packte den Chestock am Nacken, der dort durch die Luft flatterte; seine Beute zwischen den Krallen. „Das ist kein Futter!“
Vorsichtig löste ich Schwarz‘ Krallen vom Körper des kleinen Wesens und schirmte die fragile Rose am Ende ihres Schwanzes ab.
„Das ist Floppy!“, sagte Val sofort, als ich das Wesen befreit hatte. Seine Hände umschlossen meine, als müssten wir gemeinsam die Musarose vor einem weiteren Angriff schützen. Doch Schwarz blinzelte uns nur mit großen Augen an und setzte sich dann auf das Sims, wo er seine Flügel zum Ausruhen ausbreitete.
Mein Blick glitt zur Musarose, die sich munter rekelte.
„Sie ist unverletzt“, erkannte ich erleichtert. „Ich glaube, Schwarz hat Floppy nur aufgelesen und hergebracht. Sieh, ihre Rose ist in Ordnung.“
Ich warf einen kurzen Blick zu Val, nur um zu sehen, dass er statt der Musarose mich anstarrte. Eine Braue hatte er weit die Stirn hinaufgezogen, als traue er seinen Augen nicht.
„Verzeih!“ Sofort riss ich meine Hände weg, die in seinen Händen ohnehin etwas verloren wirkten.
Erst in dem Moment begriff ich, in welcher Verbindung die beiden zueinanderstanden. Natürlich war es Val nicht angenehm, wenn ich mich zwischen ihn und seinen Gefährten drängte.
Doch nach all der Zeit, wie mich die kleine Maus im Lager begleitet hatte, war sie mir sehr ans Herz gewachsen. Es fiel mir daher schwer, sie schon wieder loszulassen.
Val sah mich prüfend an, ehe er Floppy an sich zog und behutsam über den Kopf streichelte, was ihre Rose augenblicklich zum Leuchten brachte.
Ich musste zugeben; die beiden waren zusammen ein herzerweichendes Bild.
„Du solltest dich Floppy besser nicht nähern“, sagte Val und setzte sie auf der Theke der Küche ab. Anscheinend schien er Schwarz für keine Gefahr zu halten.
Es ärgerte mich ein wenig, dass er das bei mir anders zu sehen schien.
„Ich würde Floppy nie etwas tun“, sagte ich entrüstet.
Doch Val lachte nur. „Das ist nicht meine Sorge.“
Er zog aus seiner Hosentasche eine in Leder eingeschlagene Phiole und öffnete den Deckel. Die Musarose schnupperte höchst interessiert in der Luft.
„Weißt du, Lillif…“ Mit dem Finger holte Val einen grünen Käfer heraus und legte diesen auf den Tisch. „Keiner kann Floppy etwas vormachen. Eine Musarose versteht die Leute um sich herum ausgezeichnet. Wer ein falsches Spiel treibt, wird von ihr schnell durchschaut nicht selten bestraft.“
Nun sah er zu mir. „Auch wenn Schwarz dich aus irgendeinem Grund leiden kann, Floppy lässt sich nicht täuschen. Du solltest dich vor ihr besser in Acht nehmen.“
Schwarz und ich blinzelten uns verwundert an.
Doch als Floppy ihr Essen auf der Theke nicht eines Blickes würdigte, sondern stattdessen umkehrte und auf mich zusprang, war ich mir sicher, dass Val nicht scherzte.
Gut möglich, dass die Musarose mein Täuschungsspiel längst durchschaut hatte.
Da ich dem flinken Wesen nicht schnell genug ausweichen konnte, fiel ich nur überrascht zu Boden.
Doch anstatt mich anzunagen wie ein großes Käsebuffet, trippelten Floppys kleine Füße so wild auf mir herum, dass ich mich zwar nicht vor Schmerzen, dafür aber vor Lachen krümmen musste.
„Die Wahrheit könnte dir helfen“, erklärte Val und hockte sich neben mich. „Wenn du mir sagst, was heute mit dir los ist, dann pfeife ich Floppy zurück.“
Ich biss die Zähne zusammen. Anscheinend war Val immer noch skeptisch.
Da kam ihm die Situation sicher gelegen.
Allerdings war ich nicht bereit, jetzt aufzugeben.
Ich würde eher Floppys Strafe über mich ergehen lassen, als mich zu offenbaren.
Außerdem musste ich so sehr lachen, dass ich nicht genug Luft hatte, um einen verständlichen Satz zu formulieren.
Schlussendlich kletterte Floppy meinen Hals hinauf und schnupperte auf meinem Kinn stehend in die Luft. Ich japste nach Sauerstoff und sah in ihre schwarzen Knopfaugen, die unumwunden in meine starrten.
Scham erfüllte mich.
Vor allem, weil ich das Gefühl hatte, dass ich allein dadurch, dass ich Floppys Herrchen täuschte, auch sie verraten hatte. Ich war mir sicher, dass mir meine Schuld ins Gesicht geschrieben stand und Floppy mich dafür bestrafen würde.
Bis sie plötzlich ihr kleines Näschen gegen meine stupste.
Es war eine kleine Geste, die ich aber sofort erkannte.
Auf die gleiche Weise hatten wir uns im Lager jede Nacht vor dem Schlafen einen Gute-Nacht-Kuss gegeben.
All meine Anspannung verrauchte bei der Berührung.
Erleichtert lächelte ich ihr entgegen. Floppy konnte man tatsächlich nichts vormachen.
So wie Schwarz sich nicht von meinem Äußeren hatte täuschen lassen, so schien auch Floppy mich am Geruch erkannt zu haben und – das war für mich fast noch wichtiger - mir mein falsches Spiel zu verzeihen.
„Ich bin auch froh, dich zu sehen“, sagte ich und schmiegte ihr weiches Fell an meine Wange. Mir kam, dass sie mich damals in Miikos Zelt wahrscheinlich nur ausgewählt hatte, weil ich nach Val gerochen haben musste. Doch inzwischen verband Floppy und mich mehr als das.
„Was zum…?!“, begann Val, doch seine Stimme nahm ich nur am Rande wahr.
Vor allem, weil meine Nase plötzlich gegen etwas Raues an Floppys Kehle stieß. Die Musarose trug etwas um den Hals.
Kurz sah ich zu Val auf, doch Floppy nagte stoisch an meinem Finger, als wollte sie mir damit sagen, dass die Nachricht nur für mich bestimmt sei.
Da Val gerade eh seine Stirn massierte, als hätte er unerträgliche Kopfschmerzen, konnte ich das kleine Röllchen unbemerkt von Floppys Hals lösen und in einer Tasche meines improvisierten Kleides verschwinden lassen.
Wenn es eine Nachricht für Emil war, dann war es wohl besser, dass Val sie nicht zu Gesicht bekam. Zumal er jetzt schon unglaublich blass war. Ich hätte ihm gern erzählt, woher Floppy und ich uns kannten, aber das konnte ich nicht.
Daher blieb mir nur eines: Rückzug!
„Es ist schon spät“, sagte ich, stand auf und legte Floppy behutsam in seine Hände. „Wir müssen morgen beide früh raus, also gute Nacht. Danke für das Essen… und dass du mir das alles erzählt hast.“
Während ich sprach, lief ich langsam rückwärts aus der Küche.
Aber ich sollte nicht einmal bis zur Tür kommen.
Val lief an mir vorbei und stellte sich mir in den Weg. Die Entschlossenheit stand ihm so deutlich ins Gesicht geschrieben, dass ich panisch den Kopf senkte.
„Sieh‘ bitte mich an“, sagte er, als ich nicht reagierte. Seine Stimme war fordernd, aber nicht so harsch wie sonst. Zögerlich sah ich zu ihm auf.
Er war nicht wütend, eher verwirrt.
„Ich weiß, dass etwas nicht stimmt“, sagte er. „Warum machst du mir etwas vor? Du kannst nicht Lillif sein…“
Mein Körper begann zu zittern. Hatte er es doch durchschaut? Hatte Floppys Reaktion mich endgültig verraten?
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. „Ich trage dein Hemd. Dein Geruch an mir hat Floppy sicher nur verwirrt.“
„Das ist es nicht“, sagte er weiter, sein Blick noch eindringlicher. „Keiner kann sich so ändern. Nicht auf diese Weise. Die Musarose bestätigt nur, was ich in dir sehe. Du bist einfühlsam und mutig.“
„So siehst du mich?“, fragte ich ungläubig.
Er nickte. „Ich kann mich an gestern Nacht kaum erinnern, aber seitdem du mich gerettet hast, bist du wie ausgewechselt. Ja mehr noch; immer, wenn ich dich sprechen höre, dann denke ich an…“ Er brach ab, schlug gegen den Rahmen der Tür und fluchte. „Verdammt. Ich weiß nicht, ob ich Geister sehe… Also sag mir endlich, was hier vor sich geht.“
Mir wurde bewusst, dass ich ihn noch nie so aufgewühlt gesehen habe wie jetzt.
Und mir ging es nicht anders.
So vieles schwirrte mir durch den Kopf.
Dass er wütend werden könnte, wenn er die Wahrheit über meine Täuschung wüsste… dass er mich in seiner Wut an die Wachen auslieferte… dass ich es dann nicht mehr rechtzeitig zu Chrome schaffen würde. Aber ich fürchtete auch, in sein enttäuschtes Gesicht zu sehen.
Enttäuscht, weil ich nicht Lillif war.
Die Liste der Gründe ihm nicht die Wahrheit zu sagen war lang, nicht aber seine Geduld. Seinen aufgewühlten Atem konnte ich selbst auf meiner Haut spüren.
Ich schob ihn ein Stück von mir und lief dann zu dem Topf auf dem Herd, der seit einigen Minuten vor sich hinpfiff. Lillifs Tee hatte ich bereits gut versteckt hinter der Gardine gefunden – und so füllte ich alles in eine Kanne.
„Wie wäre es, wenn wir uns beruhigen, einen Tee trinken und dann schlafen gehen“, sagte ich zu Val, goss ihm eine Tasse ein und hielt sie ihm als Friedensangebots unter die Nase. „Das wird sich bald alles klären.“ Allein der Dampf des Tees entspannte mich so sehr, dass ich sofort gähnen musste.
Val roch auch daran, schnaubte dann aber und entriss mir plötzlich ohne Vorwarnung beide Tassen.
Anstatt daraus zu trinken, kippte er den Inhalt sowohl der Tassen als auch der Kanne in den Abfluss. „Ich glaube, das hat sich gerade doch geklärt. Exzellente Vorstellung, Lillif. Du hast dich scheinbar doch kein Stück geändert. Aber noch einmal wirst du mich nicht in den Keller sperren können.“
Verwirrt sah ich zu ihm auf.
Ich verstand die Welt nicht mehr.
Hatte ich etwas Falsches gesagt?
Oder hasste er Lillifs Tee wirklich so abgrundtief?
Letzte Änderung durch Ama (Am 11.10.2022 um 19.19 Uhr)
#92 Am 18.09.2022 um 14.54 Uhr
Liebe LeserInnen,
nicht überrascht sein.
Ich bin diese Woche leider knapp 400 Wörter über meinem Limit (max. 2000 Wörter pro Part).
Das wird aber die Ausnahme bleiben - hoffe ich.
Außerdem ein Teaser:
Ihr bekommt bald eine kleine Aufgabe, die den Verlauf der Geschichte beeinflussen könnte.
Wärmt also eure Tasten schon einmal vor^^
Wer mag, mit einem kleinen Kommentar oder einem Gruß; )
Ansonsten wünsche ich wie immer viel Vergnügen!
Eure Ama
Nachdem ich Val den Tee angeboten hatte, war seine Miene wieder so eisig wie am Morgen. Schlimmer noch: Er war auf seine abweisende Art stinksauer und ich bildete mir sogar ein, dass sich eine Spur Enttäuschung in seinem Blick abzeichnete.
Allerdings war ich auch wütend. Denn so ließ ich nicht mit mir reden.
„Keine Sorge“, sagte ich und schmiss den Rest des Tees in den Müll. „Ab morgen wird wieder alles beim Alten sein.“
Doch ausgerechnet das schien ihn keinen Deut zu beruhigen.
„Beim Alten, ja?“ Er trat noch einen Schritt auf mich zu. „Dann steh zu deinem Wort, Lillif. Wenn du mir schon nicht sagen willst, was hier vor sich geht, dann halte endlich deinen Teil der Abmachung und hilf mir, sie wiederzufinden.“
Wenn ich wenigstens wüsste, wovon er sprach.
Ich erinnerte mich zwar, dass Mercedes zum Abschied davon gesprochen hatte, dass Val auf der Suche nach jemanden war, aber ich hatte keine Ahnung, worum es hierbei ging. Doch wenn das sein und Lillifs Deal war, dann fragte ich mich, was für Lillif dabei raussprang.
Zwar sprach Val immer wieder davon, dass Lillif diejenige von ihnen war, der nicht zu trauen war und die nur zu ihrem eigenen Vorteil agierte, doch von meiner Sicht her profitierte nur Val von ihrem Zusammenschluss. Erst erfuhr ich, dass er Lillif als Köder für die Bestie benutzte und jetzt sollte sie auch noch jemanden für ihn suchen…
„Man gewöhnt sich daran, dass die Leute nicht zu ihrem Versprechen stehen“, sagte ich – merkte jedoch erst, dass ich das laut ausgesprochen hatte, als ich seinen entgleisten Gesichtsausdruck sah.
Er schluckte, als hätte ich einen sensiblen Nerv getroffen. Auch wenn ich nicht sagen konnte, auf wen er hier am meisten wütend war.
„Verstehe. Aber ich werde zu meinem Versprechen, da kannst du Gift drauf nehmen. Zur Abwechslung. Also leg mir keine Steine in den Weg.“
„Ich…“
„Halte mich nicht für dumm, Lillif“, er keilte mich zwischen sich und dem Herd ein. „Ich weiß, was du getan hast. Schließlich hast du all meine Bemühungen, ihre Fährte aufzunehmen, sabotiert.“
„ich weiß nicht, wovon du sprichst…“ Ich versuchte mich an ihm vorbeizuschieben, aber genauso gut hätte ich mich auch durch einen Berg graben können.
Seine Nasenflügel blähten sich auf. „Du hast gewusst, dass ich die Schmiedin ausfindig gemacht hatte und der Fährte des Mädchens zum Tempel folgen konnte. Du wusstest, dass ich ihr dicht auf den Fersen war. Das ist doch der Grund, warum du mich erst bewusstlos gemacht und dann in den Keller gesperrt hast, stimmt’s? Gib es zu. Du hast es getan, weil du sonst nichts mehr gegen mich in der Hand gehabt hättest.“
Nun war es mein Kopf, der schmerzte, denn ich verstand nur Bahnhof. Warum sollte Lillif etwas gegen ihn in der Hand haben wollen?
Und was wollte Val von der Schmiedin?
Ob er herausgefunden hatte, dass ich seine Beinplatten verkauft habe?
Nachdenklich sah ich zu ihm auf.
Unwahrscheinlich. Das würde bedeuten, dass er eigentlich mich suchte. Aber das wäre albern. Mich hatte er schließlich zurückgelassen.
Während ich ihn nur unverständlich ansah, sackte Val kraftlos in sich zusammen und wandte sich langsam von mir ab. „Tritt mir vorerst nicht unter die Augen! Ich werde morgen entscheiden, ob ich mich von dir zur Bestie führen oder dich direkt an sie ausliefern werde. Aber eines sei dir gewiss; beschützen werde ich dich sicher nicht. Unsere Abmachung ist hinfällig. Ich finde sie auch ohne deine Hilfe.“
Mit diesen Worten nahm er Floppy an sich und ging ohne sich noch einmal umzudrehen aus der Küche.
Zurück blieb nur der Hall seiner frostigen Stimme.
Auch wenn ich nicht wusste, wie das Gespräch so aus dem Ruder laufen konnte, sprach ich mir selbst Mut zu.
Eigentlich lief alles perfekt.
Val war davon überzeugt, dass er die ganze Zeit über die wahre Lillif vor sich gehabt hatte und würde es wohl auch verkraften, wenn diese morgen erst einmal nicht mehr aufkreuzte.
Ja, besser hätte ich es echt nicht planen können.
Nur fühlte ich mich alles andere als perfekt. Ich hatte einen riesen Kloß im Magen.
Das lag aber nicht nur an seiner Reaktion.
Irgendetwas stimmte an der ganzen Situation nicht und ich hatte das Gefühl, dass irgendjemand meine Hilfe brauchte. Doch ich konnte nicht einmal sagen, ob es Val oder Lillif war.
Vielleicht sah ich aber auch nur Geister oder schlimmer… ich war aufgrund meiner Gefühle nicht zurechnungsfähig.
So oder so hatte ich mich schon viel mehr in ihre Beziehung eingemischt als ich sollte.
Daher packte ich hastig meine Sachen, um das Haus so schnell wie möglich zu verlassen.
Den Versuch zu schlafen konnte ich mir eh sparen. Dafür ging mir zu viel im Kopf herum.
Schwarz wartete bereits draußen und ich folgte ihm zu einem Baum in einer Gasse am Dorfrand, wo ich missmutig Löcher in den Nachthimmel starrte.
Der Chestock schien meine Laune zu bemerken und kuschelte sich an meine Brust.
Solange bis die Sonne über uns erwachte und die ersten Läden ihre Türen öffneten.
Ich beschloss meine wirren Gedanken beiseite zu schieben und meine Reise ins Lager vorzubereiten. Der Pfandleiher machte beim Umtausch zum Glück keine Schwierigkeiten und so hielt ich wenige Augenblicke später Chromes Stein wieder in den Händen. Selbst Sakuras Kette war noch daran befestigt. Als ich diese um meinen Hals legte und das Gewicht gegen meine Brust drücken spürte, kamen mir jedoch erste Gewissensbisse, den Stein an den Wirt weiter zu verscherbeln. Allerdings hatte ich kaum eine andere Wahl, wenn ich zurück ins Lager wollte.
Der Weg war lang und ich musste mich beeilen. Sobald die Schenke öffnete, würde ich mir das Reittier holen und dann nichts wie weg von hier.
Während ich im Kopf die Route plante, zwickte Schwarz in mein Ohr und rollte sich dann müde auf meiner Schulter zusammen. Ich lächelte.
Da wollte wohl einer bei mir bleiben, anstatt sich einen Schlafplatz für den Tag zu suchen.
Chrome würde es sicher guttun, wenn ich seinen Gefährten mitbrachte.
„Gute Nacht… ich meine, schöne Träume“, wünschte ich Schwarz und legte ich ihn behutsam in eine Tasche meines improvisierten Kleides. Meine Finger stießen dabei auf das Röllchen, was Floppy mir zugesteckt hatte.
Das hatte ich beinahe vergessen.
Ich öffnete es vorsichtig – aus Angst, ich könnte mit noch mehr schlechten Nachrichten konfrontiert werden.
Doch tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Der Brief war von Ewelein.
Ich kannte sie nur flüchtig, aber da sie die Ärztin im Lager der Garde war, wusste ich sofort, dass es um Chrome gehen musste. Anscheinend hatte Sukie den Wolfsjungen in einem stabilen Zustand, sodass wir am Abend des Tausend-Lichter-Festes die Seelenübertragung starten konnten.
Es war clever, Floppy zu schicken, um mir diese Mitteilung zu überreichen.
Auch wenn der Brief so klang, als hätten wir vor Kurzem persönlich gesprochen.
Während ich grübelte, ob ich je etwas von einem Tausend-Lichter-Fest gehört hatte, schob mich ein Mann zur Seite, um ein Plakat an die Hauswand zu kleben, an der ich lehnte.
Vielleicht sollte ich einfach ihn fragen, beschloss ich und versuchte mein Glück.
Doch der Alte lachte nur mitleidig und ging dann kopfschüttelnd weiter, um die nächsten Plakate aufzuhängen.
Nicht gerade höflich, aber vielleicht war meine Frage auch wirklich dämlich, wie mir ein Blick auf das Plakat verriet, auf dem die Eckdaten zum Tausend-Lichter-Fest vermerkt waren. Zufall oder Schicksal - anscheinend war das eine große Sache, die auch in Balenvia gefeiert wurde.
Und zwar morgen, was hieß, dass ich zur Abwechslung sehr gut in der Zeit lag.
Eine Welle der Zuversicht überkam mich.
Wenn ich mich vor dem Mittag aufmachte, dann käme ich sogar heute noch im Lager an.
Dafür musste ich mich nun allerdings wieder in Emil verwandeln.
Da ich meine alte Kleidung schon dabeihatte und nicht mehr ins Haus zurückwollte, schien mir eine abgelegene Gasse der beste Ort, um mich umzuziehen und die Schminke abzuwaschen.
Doch ich hatte noch nicht einmal den Gürtel gelöst, da spürte ich von hinten einen kleinen Schubser.
„Hab dich“, rief ein Junge mit Ohren, die mich an einen Luchs erinnerten. „Und gleich hat er dich.“
„Wer bist du denn?“, fragte ich verwundert.
Der Junge hielt die Hände auf und sah mich mit großen Augen an.
Wollte er etwa Maana?
Hoffentlich musste er nicht in dem Alter schon betteln. In Menschenjahren war er doch höchstens Acht und ziemlich mager. Ich sah mich nach seinen Eltern um, aber außer uns war hier in der Gasse niemand. Vielleicht war es besser, wenn ich ihm etwas von dem gab. Dann würde er mich vielleicht in Ruhe lassen.
„Aber gib nicht alles auf einmal aus“, sagte ich und wandte mich ab.
Die Augen des Jungen wurden noch größer. „Das ist das Doppelte. Danke, Lillif. Dafür verrate ich dir auch noch etwas: Dieser Mann ist heute Nacht ins Dorf gekommen und er ist allein.“
Bevor der Junge wieder wegrennen konnte, drehte ich mich ruckartig um und hielt ich ihn am Kragen gepackt. Es war mehr ein Impuls, aber irgendetwas an der Sache kam mir sonderbar vor.
„Wovon sprichst du?“, hakte ich nach.
„Na, von deinem Auftrag. Du hast mir doch gesagt, ich soll dir Bescheid geben, wenn dieser Mann hier auftaucht. Du meintest, bei ihm wäre ein älterer Junge. Der Mann war aber allein. Ansonsten hat er genau auf deine Beschreibung gepasst: Helle Haare, eine Narbe im Gesicht und er lief komisch am Stock.“
Ich kam nicht dazu, weiter nachzufragen, denn der Knirps löste sich aus meinem Griff und lief dann die Gasse hinunter.
„Warte!“, rief ich ihm nach. Nicht, dass das ein Unterschied machte, also versuchte ich hinterher… zu humpeln – ja, sagt nichts… Ich hatte keine Chance ihn einzuholen.
Doch ich musste wissen, was das für ein Auftrag war. Ein blonder Mann mit Gehstock?
Sprach der Junge wohlmöglich von Lih?
Aber warum sollte Lillif über Lihs Ankunft informiert werden wollen?
Soweit ich wusste, war Lih auf der Suche nach Lillif, da diese das nächste Ziel der Bestie war. Wenn sie sich kannten, warum war Lillif dann nicht schon im Berg?
Doch als ich mich auf dem Marktplatz wiederfand und nach dem Jungen in der Menge Ausschau hielt, wusste ich, dass es vergebens war, ihn zu näheren Details zu befragen. Falls er überhaupt noch etwas wusste. Zumal ich kaum an den Leuten vorbeikam.
Inzwischen war ein reges Treiben auf den Straßen und nicht selten kassierte ich den Ellenbogen eines vorbeilaufenden Söldners, dem ich wohl im Weg stand. Also ließ ich mich notgedrungen ein Stück von der Menge mitreißen, bis diese mich an die Verkaufsstände spülte.
„Frische Kräuter“, rief mir ein Purreko entgegen und erinnerte mich an meine Vorbereitungen.
Vielleicht sollte ich noch etwas für meinen Fuß besorgen, anstatt mich weiter in Lillifs Angelegenheiten einzumischen. Gott, ich war ja wie ein neugieriger Nachbar. Das musste aufhören. Ab jetzt keine Gedanken mehr Lillif oder Lih oder… Val.
Ich schüttelte den Kopf und gab eine kurze Bestellung auf. Während seine Tatzen alles zusammensammelten, stellte mich dann an den Rand des Wagens. Die Qualität der Ware konnte ich nicht einschätzen, aber sehr gut schien sie nicht zu sein. Ich prüfte vorsichtshalber, ob etwas in der Auslage schon am Schimmeln war… bis mich ein süßlicher Geruch schließlich zu ein paar Blüten lenkte, die in einem Körbchen weiter hinten auf dem Tisch drapiert waren.
„Hey“, rief der Purreko und fuhr seine Krallen aus. „Die kannst du nicht einfach anfassen. Dafür brauchst du eine ärztliche Lizenz.“
Ich sah ihn verwundert an. „Ich brauche für Tee eine Lizenz?“
„Das ist kein Tee. Das ist ein Narkotikum.“
„Narko…?“
„Ein Schlafmittel“, sagte er. „Ziemlich stark.“
Was? Niemals. Der musste sich irren. Ich war mir bei Farbe, Form und Geruch relativ sicher, dass Lillif diese Blüten in ihrer Teemischung gehabt…
Meine Hand klatschte gegen mein Gesicht, so stark, dass es brannte. Oh Nein!
Sofort wandte ich mich ab und lief, als wäre der Teufel hinter mir her.
„Hey, deine Bestellung!“, rief mir der Purreko noch nach, doch ich war schon fast an der anderen Straßenseite und lief auf direktem Wege zu Mercedes Haus zurück. Diesmal konnte mich kein Ellenbogen aufhalten, denn das musste ich unbedingt überprüfen.
Ich eilte durch den Hausflur, in die Küche und kramte die Reste des Tees aus dem Müll hervor. Fassungslos starrte ich auf die langen, blauen Blätter – als hätte noch eine Chance bestanden, dass ich mich irrte. Aber nein.
Kein Zweifel, das waren exakt dieselben Blüten wie bei dem Purreko.
Die Blüten, aus denen Lillif mir einen Tee gemacht hatte, bevor ich einen Filmriss hatte und am nächsten Morgen in ihrer Gestalt erwacht war. Dieses Miststück!
Sie hatte mich reingelegt.
Von wegen, ich hätte mich angeboten, ihren Platz einzunehmen. Sie hat mich bewusstlos gemacht und mir keine Wahl gelassen.
Und vielleicht nicht nur mich.
Es schien, als könnte Val mit seiner Anschuldigung Recht behalten haben. Es war gut denkbar, dass Lillif ihn mit dem Tee auch bewusstlos gemacht hatte.
… Und ich habe noch versucht, ihm das als Zeichen des Friedens zu servieren.
Kein Wunder, dass er so außer sich war.
Aber warum ließ er sich das von Lillif überhaupt gefallen?
So viel Masochismus war selbst ihm nicht zuzutrauen. Oder?
Ich wog nachdenklich den Kopf. Irgendetwas schien ihn an sie zu fesseln. Da musste mehr dahinterstecken. Wenn all das, was Val mir erzählte, der Wahrheit entsprach, dann war Lillif gefährlich und wirklich durchtrieben.
Kurz schloss ich die Augen und fällte eine folgenschwere Entscheidung.
Da ich erst morgen Abend im Lager erwartet wurde, hatte ich noch etwas Zeit. Die würde ich mir nehmen, denn ich musste der Sache auf den Grund gehen.
Immerhin habe ich Val etwas vorgemacht und damit vielleicht Lillif in die Karten gespielt.
Wenn Lillif wirklich ein falsches Spiel trieb, musste er das wissen.
Sonst war ich keinen Deut besser als dieser blonde Teufel.
Ich nickte entschlossen und setzte meine Ermittlungen im Haus fort.
Val schien schon losgezogen zu sein, um den letzten Brand zu untersuchen.
Somit hatte ich freie Hand, mich überall umzusehen.
Ich durchkramte zuerst Lillifs Zimmer und ihren Kleiderschrank, aber ich fand dort nichts Verwertbares.
Auch im Keller selbst war nichts, worauf ich mir einen Reim machen konnte.
Bis mir plötzlich die verschlossenen Zimmer im ersten Stock einfielen.
Ich würde sie aufbrechen müssen, aber als Schattengardistin sollte ich das hinbekommen.
Daher warf ich meine Bedenken über Bord.
Ich war mir sicher, dass ich irgendwo einen Hinweis finden würde, worauf Lillif es abgesehen hatte.
Letzte Änderung durch Ama (Am 09.10.2022 um 16.53 Uhr)
#93 Am 24.09.2022 um 14.45 Uhr
Der Sommer war trocken...er war heiß.. teilweise...und... viel zu kurz. ;A;
Mein schöner Sommer ist weg. ;A; mir ist kalt, die Heizung kostet viel Geld und ich hab schon dicke Klamotten an...wo ist mein Indian Summer. D:
Das.. und das ich immer so trockene Augen beim lesen bekomme, schiebt lesen und schreiben bei mir immer auf (außer die Gardenaufgaben, die mir nur n Ansporn durch die Deadline geben XD )... und plötzlich ist da schon so viel Zeit vergangen... wo ist die Zeit nur hin. D:
Nach diesem geistreichen Gedankentum von Meria erstmal:
Herzlichen Glückwunsch! °˖✧◝(◕ヮ◕)◜✧˖°
Erzäääähl... du kannst doch nicht einfach nur sagen du hast geheiratet, ohne ein paar kleine Details. (ᗒᗣᗕ)
Ihr habt doch bestimmt ne Hochzeitsreise unternommen, oder? Wenn ja, wo gings hin? °^°
Die sind also an Ezarels Baum vorbei gegangen?...Aaaah, ich wusste, da ist wer dran vorbei, aber ich hatte nicht im Kopf wer...ich wusste nur noch von den anderen zwei, bei dem der eine Ez geküsst hat und er dadurch aus dem Baum wieder rauskam...Danke für die Auffrischung.
Aber trotzdem ist das ne seltsame Beziehung der Beiden...ich beobachte das. >.> (also Lil und Val)
Eine Frage °^°/
Am Abend vorher hat sie versucht Wasser aufzutreiben, aber Val duscht am nächsten Tag mit Wasser was man nicht trinken kann? Oder war das abgestellt?... Ich habs vergessen. ._.
...baaah...na endlich ahnt Val etwas... ist ja nicht auszuhalten diese Versteckspiel. D:
Also ich selber würde wahnsinnig werden, wenn ich in ner (sozusagen) anderen Haut stecke und so tun muss, als wäre ich wer, der ich nicht bin....
...uuuund, er rafft es doch nicht...menno >.>
..oh..oh..doch
..und wieder nicht...
aber dann rafft Em erst, was das für n Tee ist? Wow...was ne Leuchte. XD
Maaaann, armer Val... ich will nicht, dass er sauer auf Em ist...also, ist er ja eigentlich nicht, aber ich hasse Geheimnisse...immer denkt man, ok sie erzählt es ihm...und dann doch nicht..gaaaah. XD
Jetzt will ich aber auch wissen, was Lil da treibt...dieses blonde Gift. >.>
Bin gespannt wies weiter geht, bis zum nächsten Mal! ^^/
und nochmal n bisschen Reis und Konfetti:
*wusch* ・゚・°˖✧◝(⁰▿⁰)◜✧˖°・゚
#94 Am 25.09.2022 um 23.56 Uhr
Ich war mir sicher.
Irgendwo musste Lillif einen Hinweis darauf hinterlassen haben, wer sie war oder was sie wollte.
Eine verschlossene Tür war da praktisch eine offene Einladung.
Und mit jeder Minute, die ich damit zubrachte, das Schloss mithilfe zweier dünner Nadeln zu bezwingen, wuchs meine Erwartung, endlich auf Antworten zu stoßen.
Das Klicken, als sich dann die Bolzen an die richtige Stelle setzten, war wie Musik in meinen Ohren. Anscheinend hatte ich als Schattengardistin doch so meine Qualitäten.
Ich grinste und öffnete neugierig die erste der beiden Türen.
Der Eintritt war jedoch wie eine Reise in die Vergangenheit - eine Vergangenheit mit rosafarbener Tapete.
Mitten im Zimmer entdeckte ich ein kleines Bett, auf dem bunte Kissen thronten. Glitzernde Vorhängen schwebten darüber wie Wolken aus Zuckerwatte.
An den Wänden hingen Bilder von einem kleinen, blonden Mädchen, das in Mercedes Armen schlummerte. Ein Mann stand hinter ihnen und lächelte mit vor Stolz gewölbter Brust.
Das hier musste Sakuras altes Kinderzimmer sein.
Ich vermutete, dass Mercedes mit ihrer Tochter nach dem Tod ihres Mannes Balenvia verlassen hatte, um woanders neu anzufangen. Doch nachdem die Bestie ihre neue Heimat zerstört hatte, war Mercedes wieder in dieses Haus zurückgekehrt.
Da ich davon ausging, dass Mercedes selbst das Zimmer verschlossen hatte, um nicht ständig an den Verlust ihrer Tochter erinnert zu werden, kramte ich nicht weiter in den Sachen, sondern widmete mich der anderen Tür. Doch die ging noch schwerer auf.
Das Schloss war irgendwie zugeschmolzen – ich bekam nicht einmal die Nadeln hinein, die ich zu Dietrichen umfunktioniert hatte.
Dann eben anders. Die Verankerung an der Wand war zum Glück auf der Flurseite. So konnte ich mit etwas Kraft die Scharnierschrauben lösen und die Tür auf dieser Seite aushebeln.
Allerdings war der Erfolg, dass ich auch diese Tür bezwungen habe, kaum zu genießen, denn der Anblick, der sich mir dahinter bot, machte mich einfach nur sprachlos.
Das Zimmer war völlig zerstört.
Der Boden und die Möbel… selbst die Wände - alles war bis zur Unkenntlichkeit verkohlt.
Würden die kleinen Fenster oben nicht sperrangelweit offenstehen, weil die Rahmen komplett hinüber waren, müsste man die Aschehaufen im ganzen Haus riechen.
Ich schob etwas zur Seite, das entweder einmal Stuhl oder Sessel gewesen sein musste, doch es fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus, kaum dass ich es bewegt hatte.
Die Flammen, die das angerichtet hatten, mussten extrem heiß gewesen sein.
Zu meinem Glück war nun aber alles erkaltet.
Der Feuerausbruch – so schlussfolgerte ich – war also schon ein paar Tage her.
Vorsichtig ging ich weiter und entdeckte etwas Silbriges am Boden, das ich zögerlich von der Asche befreite, die es bedeckte.
Nur um dann zu erkennen, dass mir der Gegenstand sehr vertraut vorkam.
Das war eine von Vals Rüststiefeln – die mit den Beinplatten.
Kein Wunder, dass ich für die so viel Maana aushandeln konnte, um ein Haus für Sukie zu kaufen – die Legierung hatte nicht einen einzigen Kratzer.
Doch wieso waren die Beinplatten überhaupt hier?
Ich hatte sie doch erst vor Kurzem bei der Schmiedin verkauft, bevor ich zu Sukie in den Tempel gegangen bin…
Moment.
Ich schluckte. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
Val war doch auf der Suche nach einer Person, deren Fährte er bis zur Schmiede und bis zum Tempel verfolgt hatte.
Was wenn Lillif es war, die die Beinplatten gekauft hatte? Um die Fährte dieser Person zu verwischen.
Das konnte dann eigentlich nur eines heißen. Ich schlug mit meiner Hand gegen die Stelle meiner Brust, die plötzlich immer heißer wurde.
Die Person, nach der Val suchte, war wirklich ich.
Ich schluckte ungläubig. Das ergab doch eigentlich keinen Sinn.
Warum hatte er mich dann überhaupt zurückgelassen?
Nur um sich dann auf Lillif einzulassen…
Woher wusste sie überhaupt, dass ich seine Beinplatten hatte?
Sie war damals doch gar nicht beim Rastplatz dabei gewesen, nachdem das Dorf angegriffen wurde. Oder?
Mein Kopf schmerzte. Irgendwie wurden die Fragen nur mehr. Das Rätsel um Lillif ging viel tiefer als ich angenommen hatte.
Ich beschloss, Val zu fragen.
Kein Versteckspiel mehr.
Dass er mich damals im Stich gelassen hatte, tat immer noch weh, aber das war allemal erträglicher, als die Vorstellung, gar nicht mehr sauer auf ihn sein zu können, weil er in eine von Lillifs Fallen getappt war.
Und es war gut möglich, dass Lillif noch nicht fertig mit ihm war.
Ich musste ihr definitiv zuvorkommen.
Daher sah ich mich weiter um. Ich brauchte Beweise.
Doch das war leichter gesagt als getan. Vor allem, wenn alle Beweise in diesem Zimmer durch das Feuer vernichtet worden sind.
In einer Ecke entdeckte ich zumindest den Herd des Brandes - es war die Stelle, die am übelsten zugerichtet war. Von hier aus zogen sich die Brandschlieren wie Fäden durch das ganze Zimmer.
Ansonsten war die Ecke jedoch leer. Hier standen nicht einmal Überreste von einem Gegenstand, der plötzlich Feuer gefangen haben könnte. Merkwürdig.
Es sah aber aus, als hätte dort jemand gesessen, denn etwas Kleidung klebte am Boden.
Ich pulte behutsam an den verkokelten Stoffresten, bis ich die schwarz-roten Fetzen in meiner Hand genauer betrachten konnte. Sie passten zu einem von Lillifs Röcken.
Es war also sehr wahrscheinlich, dass Lillif hier war, als der Unfall passiert war. Das stützte meine These, dass sie die Beinplatten hierhergeschafft hatte.
Ich stutzte und schob ein bisschen von der Asche zusammen, ehe ich eine Handvoll in das Licht hielt, was in grellen Kegeln aus den Fenstern hinabschien.
Bei genauerer Betrachtung schimmerte rötlicher Staub in der Asche. Es glich ziemlich genau der Probe, die Val aus dem zerstörten Dorf mitgebracht hatte.
Mir kam der Gedanke, dass das Feuer in diesem vielleicht doch kein Unfall war.
Auf jeden Fall war das genug, um mit Val zu sprechen.
Ich musste sofort zu ihm. Auch wenn ich noch keine Idee hatte, wo ich ihn finden oder wie ich ihm das begreiflich machen konnte, musste ich ihn unbedingt sehen.
Doch noch bevor ich mich umdrehen konnte, vernahmen meine Ohren Schritte hinter mir.
War er schon da?
Mein Herz begann zu rasen.
„Lif?“
Doch mein Magen krampfte, als ich die Stimme erkannte.
Ich war auf alles vorbereitet gewesen, nur nicht darauf.
Ruckartig drehte ich mich um.
„Lih.“ Sein Name klebte mir im Mund wie zäher Gummi. Mein Entführer war neben Lillif nun echt die letzte Person, auf die ich treffen wollte. Mit ganzer Kraft zwang ich mich Ruhe zu bewahren, als er auf mich zukam.
Sein Blick schweifte dabei durch das Zimmer und sein weißer Mantel schleifte durch die Asche. Es schien ihn nicht im Geringsten zu wundern, dass hier so ein Chaos herrschte oder dass ich ihn mit seinem Namen angesprochen hatte.
Somit hatte ich also Recht.
Er und Lillif kannten einander. Das hieß, dass ich äußerst behutsam vorgehen musste. Wenn er mich durchschaute, landete ich mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in seinem Verließ in der Berghöhle.
„Ich habe dich bereits erwartet“, sagte ich, ehe mein Schweigen noch verdächtig wirkte. Es war das Beste, was mir einfiel und ich hatte so das Gefühl, dass Lillif mit ihm gerechnet haben musste. Schließlich hatte sie dem Luchs-Jungen den Auftrag erteilt, sie über Lihs Ankunft zu informieren.
Doch trotz meiner schlüssigen Überlegungen, blieb Lih stehen und hob eine Augenbraue, durch die sich eine gezackte Narbe zog. „So, hast du das?“
Seine langen Finger umfassten dabei den Stock, den er als Gehhilfe benutzte, und er musterte mich von Kopf bis Fuß. Bis sich schließlich seine Stirn in schmale Falten legte. „Warum kommst du dann nicht zu mir?“ Dabei breitete er seine Arme aus.
Ich blinzelte ihn etwas überfordert an.
War Lih nicht hier, um Lillif in seine Berghöhle zu bringen – so wie die anderen blonden Mädchen? Nein, irgendwas war anders. Er war kein Bittsteller und schien sich auch nicht als Retter aufspielen zu wollen. Ich sah die Art, wie er mich ansah. Es war nichts, was mir Angst machte, aber doch einen Schauer über den Rücken jagte.
Allerdings wusste ich auch, dass ich mir das nicht anmerken lassen durfte.
Die Wahrheit über meine Identität wäre mein Ende. Ich musste mitspielen. Und diesmal hing buchstäblich mein Leben davon ab.
Meine Füße bewegten sich mechanisch auf ihn zu. Ihn zu umarmen war das Letzte, was ich wollte, aber ich hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu haben.
Doch bevor ich mich an ihn lehnen konnte, legte er seine Hand auf meine Schulter, wodurch er mich auf eine Armlänge Abstand hielt.
„So zutraulich…“, flüsterte er. „Daran könnte ich mich gewöhnen.“
Erschrocken sah ich zum auf. Er grinste verwegen.
Unmöglich. War das etwa ein Test gewesen?
Ehe ich etwas sagen konnte, presste er seine Finger auf meine Lippen. „Kein schlechter Versuch, aber dir fehlt es an Feuer. Außerdem ein kleiner Hinweis: Lillif würde mich nie umarmen.“
Mein schockiertes Gesicht schien ihm zu genügen. „Sag, war das deine Idee oder Lifs? Nein, lass mich raten. Es war Lifs Idee, oder? Das sieht ihr so ähnlich. Weißt du, als Kind hatte sie oft eine Puppe als ihr Double verkleidet und in ihr Bett gelegt, wenn sie sich rausschleichen wollte. Ihre Fähigkeiten hat sie wohl inzwischen deutlich perfektioniert. Jetzt stellt sich nur eine Frage…“ Sein Blick wurde plötzlich todesernst, als er mich dicht zu sich heranzog. „Wer bist du?“
Ich schluckte.
Das konnte doch nicht sein. Er hat kaum einen Blick gebraucht, um Zweifel an meiner Identität zu haben. Wie gut kannten die beiden sich denn bitte?
„Immer noch sprachlos?“ Sein wölfisches Grinsen erfasste nun auch seine Augen. „Dann werde ich meiner Frage wohl Nachdruck verleihen müssen.“
Mit diesen Worten streckte er beide Arme in meine Richtung.
Augenblicklich spürte ich ein Kribbeln in der Luft und mir kam eine Ahnung, wie er seinen Nachdruck zu gestalten dachte.
Allerdings konnte ich gutdarauf verzichten, wieder von seinen Blitzen gekitzelt zu werden.
Nicht zuletzt, weil dies sämtliche Beweise in diesem Haus begraben würde… inklusive meiner Wenigkeit.
Doch wo konnte ich hin?
In diesem Zimmer lag jede Möglichkeit zur Deckung bereits in Schutt und Asche und Lih selbst versperrte mir den einzigen Fluchtweg.
Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals, als mir klar wurde, dass ich immer noch in der Falle saß.
‚Streck deine Hand aus, Emmi!‘
In meiner Verzweiflung folgte der Stimme in meinem Kopf und riss meinen Arm nach vorn. Nur wenige Zentimeter trennten meine Finger von Lihs.
War ich denn wahnsinnig? So würde ich seine Kraft doch direkt auf mich lenken. Die Spannung um seine Fingerkuppen manifestierte sich bereits.
Doch bevor ich mich wieder fassen und den Arm wegziehen konnte, stieß mich eine Kraftwelle nach hinten.
Ich taumelte. Allerdings nicht so weit, wie ich erwartet hatte. Meine Glieder zuckten nicht einmal.
Das, was mich aus der Bahn warf, war kein Stromschlag, sondern ein Rückstoß.
Verwundert sah ich auf Lih, der Klatschnass vor dem Geländer im Flur hockte, bis zu dem ich ihn geschleudert hatte.
Moment, das war ich gewesen?
Hatten diese Wasserkräfte mich etwa erneut gerettet?
Eine Menge Fragen schwirrten in meinen Kopf, doch keine, auf die ich genau jetzt eine Antwort brauchte. Es war nur eines wichtig: und zwar wie ich von hier wegkam.
Der Weg war frei, also stolperte ich an Lih vorbei und die Treppe hinunter.
Ich sah schon das Pflaster der Straße durch die offene Haustür, als ich erneut Lihs Stimme vernahm. Sie klang leise und unerwartet ruhig. „Das Emil-Duplikat zeigt also endlich sein wahres Gesicht.“
Mein Schritt wurde langsamer.
Ich fühlte mich so durchsichtig wie Glas und auch so zerbrechlich. Wie konnte es sein, dass dieser Mann mich so schnell durchschaut und erkannt hatte? Woher wusste er, wer ich war? War meine Schminke ab oder besaß er noch mehr Kräfte, von denen ich nichts wusste? Wir haben doch kaum zwei Worte gewechselt. Womit hatte ich mich da bloß verraten?
Er schien mein Zögern genau zu bemerken, denn ich hörte ihn höhnisch auflachen. „Du bist wirklich interessant. Das muss ich dir lassen. Lif hat das wohl auch bemerkt… Das würde zu ihr passen. Du bist sicher nicht freiwillig in ihrer Rolle… Sag, hat Lif dich dazu gezwungen?“
Ich warf den Kopf zurück. Wie er am Boden saß, wirkte er weit weniger einschüchternd. Er schien auch nicht sauer, eher nachdenklich. In seinem Fall war das aber nicht weniger gefährlich.
„Wie wäre es mit einem Deal“, fuhr er unbeirrt fort und stand langsam auf. „Du scheinst hier nach Antworten zu suchen. Ich werde dir welche geben.“
Automatisch wich ich einen Schritt näher zur Haustür, aber ich konnte mich noch nicht dazu durchringen, hinauszurennen.
Obwohl mein Blick nach draußen gerichtet war, galt mein Frage trotzdem ihm. „Was springt für dich dabei raus?“
Sein amüsiertes Schnauben verriet mir sofort, dass er wusste, dass ich bereits angebissen hatte.
„Ich sehe schon… Du weißt, wie die Dinge laufen. Wie wäre es damit: Du darfst mir drei Fragen stellen, auf die ich ehrlich mit Ja oder Nein antworte. Im Gegenzug werde ich dir drei Fragen stellen. Was sagst du? Bist du dabei?“
„Geneigte Leserschaft,
nun ist es endlich an euch, aus eurer Beobachterrolle zu treten und aktiv in die Welt einzugreifen. Denn ihr dürft entscheiden, welche Fragen Em an Lih stellen soll.
Nicht alle Fragen wird Lih auch beantworten können, aber eine Vermutung zu äußern kann nicht schaden. Denkt daran, dass Lih nur mit Ja oder Nein antwortet.
Fragen wie “Was ist dein Lieblingsessen?” oder “Wer ist die Bestie?” wird er also nicht beantworten.
Habt ihr aber konkrete Vermutungen, schießt ruhig los.
Es wird zudem den Verlauf der Geschichte beeinflussen, je nachdem was und wie viel Emilia weiß. Also wenn ihr sie im Dunkeln tappen lassen wollt, dann ist das auch okay.
Ab nächster Woche sind wir erstmal wieder bei Emil im Lager. Ihr habt also etwas Zeit, euch Fragen zu überlegen. Vielleicht erfahrt ihr in Emils Part auch Dinge, die euch neue Erkenntnisse geben.
Noch ein Hinweis:
Wenn ihr mir eure Fragen als PN schickt, wähle ich passende Fragen aus. Solltet ihr sie hier ins Forum schreiben, könnt ihr auch abstimmen.
Kommi
Letzte Änderung durch Ama (Am 24.10.2022 um 11.43 Uhr)
#95 Am 28.09.2022 um 10.38 Uhr
Liebe Ama
unglaublich und wenn es auch kurz vor Mitternacht ist, dein Part pünktlich hochzuladen, war auch diesmal wieder ein nächtliches Event.
Ich kann mich Merias Kommentar nur anschließen. Wie kann ein Gardenführer so dämlich sein und auf der eigenen Leitung stehen, wenn er Emilia nicht erkennt, wo er doch stundenlang mit ihr zusammen war.
Und Lih, der nur Bruchteile von Augenblicken benötigt, Emilia wieder zu erkennen. Auch in der Gestalt von Lillif.
Valk macht mich wahnsinnig und bringt mich zur Verzweiflung.
Aber gut so. So werden wir von deinen sonntäglichen Uploads noch sehr lange Vergnügen haben.
Ich finde es super, dass du die Leser jetzt mit einbeziehst. Meine Fragen an Lih wären:
Steckt Lih mit der Bestie unter einer Decke?
Ist Lillif die Bestie?
Oder arbeitet Lillif mit der Bestie zusammen?
Kennen Emil und Lillif sich?
Weiß Lih von Valk? Ist Lih Lillifs Vater?
Weiß Lillif von den Mädchen im Berg?
Weiß Lih, was es mit Emilias Wasser-Kräften auf sich hat?
Ja es sind mehr als drei Fragen, aber ich hätte sonst auch noch fünfzig weitere.
Liebe Grüße und vielen Dank für deine Mühe
Sakura Chihiro
#96 Am 28.09.2022 um 11.42 Uhr
Hallo Ama! ^^/
Ja, Herbstsonne hat auch ihren Charme...deswegen will ich ja meinen Indian Summer haben, aber es regnet nur und ist grau. :<
Deine Hochzeit klingt so romantisch. (❤ω❤) Das man sich da wie eine Fee fühlt kann ich mir gut vorstellen. :3
Oh ha...dafür ist das 9Euro Ticket echt ne super Chance gewesen, ja. Es kam also zu einer sehr praktischen Zeit. ^^ Und Deutschland hat wunderschöne Ecken. ^^
Ich stelle mir das Wassersystem irgendwie vor wie zur Römerzeit, aber das war auch trinkbar aus den Leitungen...also passt es nicht. XD
Ich hab bei El halt immer so ein eigenes System vor Augen.
In anderen Ländern, sogar USA und so, ist Leitungswasser nicht wirklich trinkbar, yas...aber in einer Welt wie El stelle ich mir halt nix mit fiesen Keimen vor, daher meine Frage. Aber ich mache halt auch aus der Welt das, was man für die FF dann gerade braucht. :D
Ich frage mich auch wo Val jetzt eigentlich ist...Em will ihm alles erzählen, aber wollte der nicht schon wieder verschwinden? *grübel*
Ich hab vieles nicht mehr im Kopf und das mit den Beinplatten zB wusste ich gar nicht mehr, das sie die Dinger verkauft hatte... aber ich hab irgendwie immer ne andere Erinnerung, was Val angeht.
Ich dachte er hatte bei dem Angriff damals was abbekommen oder wurde verschleppt...war zumindest verschwunden...oder wollte dem Monster folgen und war dort dann verschollen...
Em denkt ja immer sie wurde im Stich gelassen, aber ich denke immer, das war gar nicht so...sie nimmt es nur an... Val war eben nur "verhindert" und nicht in der Lage zu ihr zurück zu gehen...und als er wieder da war, war sie weg...
Kann natürlich völliger Käse sein, was ich hier denke...ist halt n bissi her. ^^° Aber das denke ich jedes Mal, wenn Em wieder ankommt mit "er hat mich im Stich gelassen"...
Das würde Val nie tun. D:
Was die Fragen angeht...die mich am brennendsten interessieren wären:
Ist Lillif die Bestie?
Je nachdem, ob er mit ja oder nein antwortet, wären bei nein die anderen Fragen noch interessant, ob sie mit der Bestie zusammenarbeitet.
Ob Lih Lifs Vater ist... da denke ich eher an sowas wie, er hat sie damals aufgenommen und wie ne Tochter großgezogen, weswegen er sie so gut kennt.
Mich interessiert vor allem, was Lih mit dem Ganzen zu tun hat, aber da er nur mit ja oder nein antwortet ist ne konkrete Frage zu stellen schwierig.
Man könnte sowas fragen wie:
Hast du selbst etwas mit der Bestie zu tun oder stehst mit ihr in Verbindung.
Irgendwie so.
Mehr Fragen habe ich jetzt nicht. ^^7
Dann noch eine schöne Woche und bis zum nächsten Mal. ^^/
#97 Am 02.10.2022 um 17.03 Uhr
Liebe Leserschaft,
dank Merias Kommentar habe ich mich erinnert, dass eine kleine Zusammenfassung hilfreich sein könnte. Ich habe das mal in einen Spoiler „Was bisher geschah“ gepackt.
Und großen Dank für die Fragen, die ich bisher bekommen habe. Da sind echt coole Sachen dabei. Wem noch etwas einfällt, kann sich gern bis nächsten Sonntag (09.10.22) einbringen. Dann treffe ich die Auswahl.
Ansonsten viel Spaß!
Eure Ama
Was bisher geschah
Die Luft wog schwer wie Blei.
Selbst der Wind schien einen Panzer aus rußigem Staub zu tragen.
Emil fühlte sich, als würde jeder Luftzug seine Lunge pulverisieren.
Doch das war nicht das einzige, was ihm den Atem raubte.
Er stand inmitten eines Dorfes am Rande seiner Existenz und konnte sehen, was seinen Augen sonst verborgen blieb: Chaos - live und in Farbe.
Mit jeder Welle an Schreien und Klagen, die über ihn einbrach, fühlte er sich ein weiteres Stück verloren; wie ein Schiffsbrüchiger in einem Meer aus Feuer und Verzweiflung.
Fairys hasteten aus ihren Häusern, Eltern trugen ihre Kinder über der Schulter wie Säcke, während hinter ihnen die einst massiven Mauern ihrer Heimat einstürzten.
Krachend fielen ganze Dächer in sich zusammen und stießen so viel Asche in die Höhe, dass man meinen könnte, der Himmel selbst stünde in Flammen.
Es war ein morbides Spektakel. Die grellen Farben vermischten sich wie in einem grausigen Gemälde, wo jedes Fünkchen nur Finsternis nach sich zog.
Emil blinzelte in das Licht dieser Szene und wünschte sich augenblicklich die Dunkelheit zurück. Doch so sehr er es auch wollte, er konnte seine Augen davor nicht verschließen. Schließlich waren alle andere in dieser Welt auf ihre Weise so blind.
Und sie wussten es nicht einmal.
Denn keiner sah, was er sah.
Keiner wusste, was er wusste.
Und keiner scheiterte wie er scheiterte… bei jedem Versuch, diesen Schrecken aufzuhalten.
Keiner, außer vielleicht einem Mann, der gerade zwischen den Mauerresten entlangeilte und die Kameraden suchte, die eben unter einer Ladung Schutt begraben wurde. Doch für sie kam bereits jede Hilfe zu spät. Die gewaltige Hitze des Feuers hatte sie vor wenigen Minuten bereits überrascht. Wie so viele.
Nur ein Bruchteil der Bewohner des Dorfes war in der Lage zu fliehen.
Zumindest soweit Emil erkennen konnte.
Konkrete Konturen vermochten seine Augen noch immer nicht zu fassen. Da waren nur verschwommene Schemen und Schatten.
Doch etwas bewegte sich in seine Richtung. Etwas Schwarzes, das über das Pflaster direkt auf ihn zu quoll. Emil konnte den öligen Geruch riechen; die gemahlenen Tiefsee-Austern, aus denen es gewonnen wurde. Das Öl kam aus einem Kanister, nahe des Getreidespeichers und umschloss seine Füße mit einem gurgelnden Laut.
Besorgt sah Emil sich nach dem weißhaarigen Mann um, wollte auf ihn zu rennen, um ihn zu warnen, doch da war es schon zu spät.
Eine Explosion riss den Speicher auseinander. In rasender Geschwindigkeit tanzte das Feuer über das Öl direkt auf sie zu.
Emil fühlte, wie sein gesamter Körper vor Hitze glühte, als die Flammen ihn erfassten.
Doch sein Körper war auch, der die Ausbreitung der Flammen abzubremsen schien. Der Weißhaarige hinter ihm blieb von dem Feuer unberührt. Nur die Stoßwelle der Explosion hatte ihn gegen eine Hausmauer geschlagen. Emil wollte ihm zur Hilfe eilen, doch als der Weißhaarige ihn erblickte, stieß er einen wütenden Ruf aus und zückte seine Axt. Drohend richtete er die Waffe auf Emil.
Da war so viel Abscheu in seinem Gesicht… und Hass.
Verwirrt wich Emil zurück.
Er wollte umkehren, doch etwas am Boden fesselte seinen Blick.
Das Licht reflektierte in der glatten Oberfläche der Öl-Lache und offenbarte ihm die Schemen eines Wesens so furchteinflößend wie das Feuer selbst.
Das, was er von der Reflexion erkannte, starrte ihm finster entgegen. Nur die roten Augen wirkten seltsam verwundbar, beinahe erschüttert.
Emil verstand die Gefühle genau, waren es doch seine.
Der Anblick raubte ihm die letzte Luft, das Brennen den letzten Rest Verstand.
Unruhig wälzte er sich auf dem Boden, in der Hoffnung das Feuer zu ersticken, bevor er es tat - oder gänzlich von diesem verschlungen werden konnte.
Doch mit jedem Partikel, der Blutrot in der Asche schimmerte, fraß sich das Feuer tiefer in sein Herz.
Er spürte, wie sein Brustkorb erstarrte, unfähig ein noch auszuatmen.
War das sein Ende? Hatte er genug gekämpft?
„Emil“, rief eine Stimme. Sie kam nicht aus dem Dorf - nicht aus dieser Welt - nicht aus diesem Traum.
„Alles wird gut“, sagte die Stimme weiter und kühle Finger legten sich auf seine Stirn.
Plötzlich blies warmer Atem durch Emils Lungen und schien jede Zelle seines Körpers mit Sauerstoff zu füllen.
Emil spürte, wie der Druck in seiner Brust abnahm. Die Schreie verebbten. Das Feuer versiegte.
Erleichtert und erschöpft sackte Emil in sich zusammen.
Die Stille beruhigte ihn, sowie die kühle Hand, die auf seiner Stirn ruhte.
Doch kaum wähnte Emil sich in Sicherheit, begann der Traum von Neuem.
Auch das Feuer kehrte bald wieder.
… und wieder…
So oft, dass Emil es schon nicht mehr zu zählen vermochte.
Und jedes Mal hatte er das Gefühl, dem Tod noch ein Stück näher gekommen zu sein…
noch tiefer in die Traumwelt zu rutschen.
Woraufhin er gar nichts mehr spürte…
Bis irgendwann…
kühles Wasser durch seine Kehle rann…
und ihn langsam in die Realität entführte.
Emil schlug die Augen auf.
Es blieb dunkel.
Noch nie war er darüber so erleichtert wie in diesem Moment.
Und auch wenn er nichts sah, wusste er, dass er nicht allein war.
Er roch Ewelein, spürte ihre Hände unter seinem Kopf, wie sie ihm etwas einflößte und dann auf ein Kissen bettete, das schweißnass unter ihm klebte.
„Du bist wach“, sagte sie mit einer ungläubigen Erleichterung in der Stimme und kontrollierte seinen Puls. „Das ist gut. Du hast uns echt einen gewaltigen Schrecken eingejagt.“
Emil fiel es immer noch schwer, Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden. Vor allem, wenn seine Träume sich aus seinen Erinnerungen speisten.
„Was ist passiert?“, fragte er daher und versuchte sich in seiner Umgebung zu orientieren.
Anscheinend war er immer noch im Lager.
Das Zelt roch sogar vertraut. Doch bevor er einen weiteren Gedanken daran verschwenden konnte, hörte er Ewelein missmutig schnauben. „Einiges ist passiert, Emil. Erinnerst du dich nicht? Es kamen Flüchtlinge nach einem Feuerausbruch aus einem Wald nahe Balenvia zu uns. Du hattest mir geholfen, sie zu behandeln, doch als ich dich zum Wasserholen schickte, kamst du nicht wieder. Ezarel brachte dich schließlich zu mir. Wie sich herausstellte hatte sich eine Wunde an deinem Arm verschlimmert. Du hattest sehr starkes Fieber und warst fast zwei Tage bewusstlos. Kaum zu glauben, dass du immer noch unter uns weilst. Ich dachte, du verbrennst innerlich.“
Emil rieb sich die Stirn. Kein Wunder, dass sich die Hitze und die Luftnot in seinem Traum so real angeführt hat. Vorsichtig strich er über seinen Arm. Die Bisswunde brannte noch immer leicht, doch die Erinnerung an jenen Tag machte Emil mehr zu schaffen.
Gar nicht mal der Moment, in dem Askir ihn schikaniert hatte, sondern wie er selbst die Kontrolle verloren und mit Kohlen auf den Reptilmann eingeschlagen hatte. Ezarels Stimme hatte so wütend geklungen.
Ewelein griff nach seinem Arm. „Wieso hast du mir die Wunde nicht vorher gezeigt?“
„Die ist schon ein paar Tage älter. Ich dachte, das heilt von allein.“
„Die Verletzung war in einem miserablen Zustand gewesen. Du musst ziemliche Schmerzen gehabt haben. Wie ist das überhaupt passiert?“, bohrte Ewelein weiter nach und wickelte den Verband neu. „Das sieht nach einer Bisswunde aus.“
Doch Emil schüttelte nur den Kopf und schob langsam ihre Hände von sich. Das war alles Schnee von gestern. Ezarel würde es sicher nicht gutheißen, wenn die Auseinandersetzung zwischen ihm und Askir wieder aufgekocht würde. Und das würde unweigerlich passieren, wenn Emil nun mit dem Finger auf den Reptilmann zeigte. Diesem Mistkerl käme es sicher gelegen, die Angelegenheit dann so hinzustellen, dass er sich nur gegen Emils tobsüchtigen Anfall zur Wehr gesetzt hatte.
Völlig Banane, wer wann wen zuerst verletzt hatte. Seine eigenen Taten würde Askir ohnehin herunterspielen. Oder sogar Ezarel vorwerfen, die Sache vertuscht zu haben.
Nein, damit wäre keinem geholfen.
Daher wandte Emil schweigend den Kopf ab.
„Ist mit dir wirklich alles in Ordnung?“ Ewelein griff erneut nach seinen Händen. „Dein Körper hat sich inzwischen gut erholt, aber du bist immer noch kreidebleich.“
„Alles Bestens“, sagte Emil und barg sein Gesicht zwischen den Knien. Sein Kopf brannte noch immer. Vor allem bei der Menge an Gedanken, die in ihm brodelten. Das war er echt nicht gewohnt.
Was Ewelein ihm anzusehen schien. „Glaub mir, über Gefühle sollten man sprechen, bevor sie einen auffressen.“
Emils hilfloses Lachen hallte durch das Zelt. Von seinen Gefühlen verspeist zu werden, wäre in der Tat ein passendes Ende für einen hoffnungslosen Nimmersatt wie ihn.
Doch er lehnte entschieden ab.
Er verstand ohne nicht, warum Ewelein so beharrlich war. Im Krankenzelt war sicher immer noch die Hölle los. So viele Flüchtlinge, die auf ihre Hilfe angewiesen waren. Hatte Ewelein da nichts Besseres zu tun, als ihn zu fragen, wie er sich fühlte.
Überhaupt. Wen interessierten schon die Gefühle eines Monsters?
Und ja. Nachdem Emil so unbeherrscht über Askir hergefallen war, war klar, dass Ezarel auch nichts anderes in ihm sah als das: Ein Monster.
Das war die logischste Erklärung, weswegen Ezarel ihm nun aus dem Weg ging.
Deswegen hatte er ihm bestimmt verboten, im Krankenzelt bei den Flüchtlingen mitzuhelfen. Deswegen wollte er ihn sicher auch vor allen anderen verstecken.
Und deswegen war Ezarel nun nicht da.
Weil er Emil für ein gottverdammtes Monster hielt.
So wie jede verfluchte Seele in dieser Welt. Warum sollte Ewelein etwas anderes in Emil sehen, wenn er ihr die Sache schilderte?
Also echt. Gefühle waren nun wirklich das Letzte, worüber Emil nachdenken, geschweige denn sprechen wollte.
„Dein Zustand wird sich wieder verschlimmern, wenn du das in dich reinfutterst“, sagte Ewelein ernst. „Ich werde Ezarel holen. Soll er dich zur Vernunft bringen.“
Doch Emil hielt die Elfe zurück, ehe sie aufstehen konnte.
Im Augenblick konnte er Ezarel wirklich nicht unter die Augen treten. Nicht in diesem Zustand. Erst wollte Emil wieder bei Kräften sein, damit er dem Anführer der Absynth-Garde beweisen konnte, dass er immer noch von Nutzen war. Diese Hoffnung wollte Emil noch nicht aufgeben. Abgesehen davon hasste Emil den Gedanken, dass Ezarel nur kam, weil Ewelein ihn dazu nötigte.
Keine Ahnung, ob Emil da Anflüge von Stolz entwickelte, aber es war ihm lieber, wenn er im Augenblick einfach seine Ruhe hatte.
„Weißt du, Emil“, Ewelein wirkte mit einem Mal unerwartet streng. „Ich weiß, dass du es hier im Lager nicht leicht hast, aber so ein Biss geht eindeutig zu weit. Und die Sache betrifft nicht nur dich. Wir haben Regeln, die euch Rekruten schützen sollen. Wenn wir das nicht konsequent bestrafen, wird das im Chaos enden. Mal abgesehen davon, kann es sein, dass du immer noch in Gefahr bist. Und mit dir vielleicht auch jede Person, die dich schützt.“
„Ich bin ja auch dankbar“, murmelte Emil. Er hatte Ewelein in den letzten Tagen sicher viel Arbeit gemacht. Die Fieberschübe und seine Luftnot… Bestimmt musste sie ihn mehrmals wiederbeleben.
„Dann lass mich Ezarel holen“, beharrte Ewelein wieder.
Ein Knurren verließ Emils Kehle. „Aber das hat mit Ezarel doch nichts zu tun. Ich glaube nicht, dass er mich nach all dem noch sehen, geschweige denn schützen wird…“
Emil hatte den Satz kaum beendet, da kniff Ewelein ihm unumwunden in die Wange. „Du hast wohl nicht den Hauch einer Ahnung wie es scheint. Was glaubst du denn, wer sich die ganze Zeit um dich gekümmert hat?“
Emil rieb sich störrisch die Wange, bis es langsam zu ihm durchsickerte und er sich bewusst wurde, nach wem die Decke, das Kissen, das Bett – ja, der gesamte Raum roch, in dem er sich befand.
Kommis
Letzte Änderung durch Ama (Am 22.10.2022 um 18.41 Uhr)
#98 Am 09.10.2022 um 20.48 Uhr
Nachdem Emil so einen Ärger verursacht hatte, konnte er es eigentlich nicht glauben.
Doch seine Nase hatte ihn noch die getäuscht.
„Ich bin hier in Ezarels Zelt“, murmelte er und drehte sich langsam zu Ewelein. „Aber wieso? Warst nicht du es, die mich die ganze Zeit behandelt hatte?“
Ewelein schnaubte verlegen. „Ich mag dich wirklich, Emil, aber ich war mir sicher, dass du es nicht schaffen würdest. Zu Beginn hatte ich alles versucht, aber dein Fieber war so stark und es wurde zunehmend schlimmer. Nachdem ich Ez erzählte, dass du vermutlich die Nacht nicht überstehen würdest, hatte er dich kurzerhand über die Schulter geworfen und murrend weggetragen.“
Nachdem ihre Worte im Zelt verhallten, konnte man das Flackern der Kerze hören. So leise war es. Denn Emil brauchte einen Moment, um das zu verdauen. „Also hat Ezarel mir das Leben gerettet?“
„Das kannst du wohl sagen. Ich wusste erst nicht, was er vorhatte, bis ich vorhin kam, um nach ihm zu sehen. Er sah aus, als hätte er seitdem nicht ein Auge zugetan. Die ganzen zwei Tage ohne seinen geliebten Schönheitsschlaf... Kannst du dir das vorstellen? Er sah aus, als würde er irgendwen dafür erwürgen wollen.“
Während sie sprach, griff sie nach Emils Hand und strich behutsam über seine Finger. „Aber keine Sorge. Ez ist Überstunden gewohnt und wenn er auf eine Sache versessen ist, dann kann ihn nichts davon abbringen. Es war auch gar nicht einfach, ihn zu überreden, sich auszuruhen. Er bestand darauf, dass ich in der Zeit bei dir bleibe und Acht gebe, dass du dich hier nicht auf seine Sachen übergibst. Hach, er ist wirklich unverbesserlich…“ Sie begann zu kichern, ehe ihre Stimme mit einem Mal eine gewisse Verletzlichkeit offenbarte. „Aber irgendwo ist es auch gerade seine störrische Art, die wir so an ihm lieben, nicht wahr?“
Emil nickte beklommen. Mehr bekam er nicht zusammen.
Ihm war plötzlich ziemlich schwindelig.
Tonlos rutschte er zurück ins Bett und zog die Decke bis zu seiner Nase.
„Hey?“, fragte Ewelein verwundert. „Alles okay?“
„Ich glaub, mein Fieber ist wieder da.“
Besorgt hielt sie ihre Hand gegen seine Stirn. Ihre Finger waren viel weicher als Ezarels, aber nicht so schön kühl. Schließlich seufzte sie. „Deine Körpertemperatur ist normal. Da ist kein Fieber. Ich würde sogar sagen, du bekommst langsam Farbe ins Gesicht. Das ist eher ein gutes Zeichen.“
Doch Emil war sich da nicht so sicher. Sein Herz hüpfte in seiner Brust, als wäre es von einem wilden Dämon besessen.
Ob das noch eine Nachwirkung des Giftes war? Musste er jetzt sterben?
Ewelein schien seinen besorgten Gesichtsausdruck zu bemerken, denn sie streichelte weiter seine Hand. „Hab keine Angst vor Ezarel. Ich kenne ihn schon lange. Er ist zwar ein hitzköpfiger Kindskopf, doch auch in seiner Brust schlägt ein Herz. Dass er dich gerettet hat, ist doch Beweis genug. Außerdem hat er sich in den letzten Tagen ziemlich verändert. Er benimmt sich fast erwachsen. Ich muss zugeben, du hast einen guten Einfluss auf ihn."
Verwundert legte Emil den Kopf schief. Die Wörter "gut" und "Einfluss" waren noch nie in einem Satz gefallen, wenn es jemand darauf anlegte, ihn zu beschreiben.
„Es ist echt schwer, ihn zu durchschauen.“ Emil merkte erst, dass er den Gedanken laut ausgesprochen hatte, als Ewelein ihm erneut in die Wange kniff.
„Das stimmt. Die meisten machen sich aber nicht einmal die Mühe, ihn zu verstehen. Da fällt mir ein: Weißt du eigentlich, warum man ihn einen Tyrannen nennt?“
Emil fiel ein Dutzend Gründe ein. Immerhin war Ezarel mit seinen Strafen nicht gerade zimperlich. Wenn man sich erst einmal seinen Zorn aufgeladen hatte, dann war er gnadenlos. Doch diese Antwort wäre zu offensichtlich, als dass Ewelein so danach fragen würde. Daher schüttelte Emil langsam den Kopf.
Grinsend beugte sie sich ein Stück zu ihm vor, als bestünde die Gefahr, dass jemand außerhalb des Zeltes mitlauschen könnte. „Ich verrate dir jetzt mal etwas über unseren Ezarel. Sein Ego war nämlich nicht immer so groß. Er war auf seine Bücher versessen und kam zur Garde, um sich neues Wissen anzueignen. Doch eines Tages hat er sich mit dem alten Gardenleiter gestritten und ihn herausgefordert. Dadurch kam es zu einem Machtumsturz, der ihn zum neuen Leiter der Absynthgarde machte. Ich habe nie erfahren, warum er das getan hat. Denn eigentlich interessiert ihn die Garde nicht wirklich. Im Gegensatz zu Nevra und Valkyon fühlt Ezarel nämlich keine Verpflichtung für seine Gardisten. Für ihn sind sie bestenfalls Untergebene, die seine Anweisungen befolgen müssen. Er ist ein absoluter Einzelherrscher, der niemandem vertraut. So war er schon immer. Dass man ihn einen Tyrannen nennt, hängt also nicht nur damit zusammen, dass er utopische Ansprüche hat, sondern auch, dass er sich weigert, mit Leuten zusammenzuarbeiten. Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie überrascht ich war, als ich hörte, dass ihr gemeinsam Feuer-Resistenz-Tränke herstellt.“
Doch da war nicht nur Überraschung, die Emil aus ihrer Stimme heraushörte.
„Ich kenne niemanden, mit dem er je Tränke zusammengebraut hatte“, murmelte sie und wurde immer leiser. „Nicht einmal mit mir.“
Ihre Worte bestätigten, was Emil bereits ahnte. Sie klang immer eine Spur betrübt, wenn sie über Ezarel sprach.
Allerdings konnte er nicht ganz verstehen, warum sie so bekümmert war. Emil hatte nicht den Eindruck, dass Ezarel je gemein zu ihr war. Abgesehen von seinen üblichen Sticheleien, behandelte er die Ärztin mit höchstem Respekt. Doch bevor Emil nachfragen konnte, ging der Vorhang des Zeltes auf und ein bekannter Duft wehte um seine Nase.
Es war erstaunlich, dass man ihn allein schon an seiner Präsenz wahrnahm. Das war nicht nur der Fluch, der an ihm klebte. Es war auch ein Stück angeborene Autorität.
„Sag nichts“, forderte Ezarel, noch bevor er ganz ins Zelt getreten war. Allerdings war es da schon zu spät, denn Ewelein brach in lautes Gelächter aus, als wären ihre trüben Gedanken zusammen mit dem Luftzug davongetragen worden. „Unmöglich“, erklärte sie und krümmte sich vor Lachen. „Ich weiß, du hast deine blauen Haare vermisst, Ez… aber wieso ist jetzt dein ganzes Gesicht blau?“
Ezarel knurrte und rieb sich etwas von der Kleidung. „Alajea ist gestolpert und hat Farbpuder über mich verschüttet. Das Zeug geht nicht ab. Was für ein Blauschimmelkäse. Kaum habe ich meine blauen Haare wieder, trifft es mein Gesicht. Ich schwöre, dieser Fluch macht mich noch irre. Apropos… Wie ich sehe geht’s unserem Terroristen wieder gut.“
Emil konnte Ezarels Blick auf sich spüren. Ihm wurde augenblicklich wärmer. Und dass obwohl der Windzug über seine klebrig verschwitzte Haut blies und ihn frösteln ließ.
Es vergingen einige Sekunden, ehe er sich zumindest zu einem Nicken durchzwang. In seiner Brust begann es wieder so unruhig zu werden.
Ewelein räusperte sich schließlich „Mein Stichwort. Ich gehe zurück ins Krankenzelt. Es wartet noch eine Menge Arbeit auf mich.“
Mit diesen Worten lief sie überraschend eilig aus dem Zelt und ließ nichts außer einem betretenden Schweigen zurück.
Irgendwie hoffte Emil fast, dass Ezarel einfach irgendeinen blöden Spruch machte.
Doch der Alchemist trat nur ein paar Schritte zu ihm heran und ließ sich dann neben dem Bett auf den Boden sinken.
Ob er darauf wartete, dass Emil das Wort ergriff?
Aber was sollte er schon sagen? Sich bedanken? Emil war sich nicht sicher, wie er das am besten anstellen konnte, ohne dass seine Worte wie eine Floskel wirkten. Er war weder gut im Entschuldigen, noch gut im Bedanken. Gut. Reden war allgemein nicht so seine Stärke.
Es verging eine unerträglich lange Minute, ehe sich Ezarel schließlich zu ihm herumdrehte. „Ich habe eine Spur zu deinem Meister“, sagte er mit einer nichtssagenden Ernsthaftigkeit. Manchmal hatte er echt eine absolute Pokerstimme.
Daher brauchte Emil eine Weile, bis er den Inhalt verstand. Doch bevor er es ganz realisieren konnte, fuhr Ezarel unbeirrt fort. „Er ist in den Wäldern vor Balenvia gesichtet worden. Ich habe zufällig ein paar Flüchtlinge über einen Mann sprechen gehört, der ziemlich genau auf die Beschreibung passt. Wenn es dir besser geht, kannst du einen Garden-Trupp nach Balenvia begleiten und ihn dort suchen. Ich wollte eh ein paar Männer dorthin schicken, um die Lage vorort zu überprüfen. Die Menge an Söldnern ist beunruhigend und sollte im Auge behalten werden… Weißt du schon, wann du dich losmachen möchtest?“
Emil wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Zum einen hatte er nicht damit gerechnet, dass Ezarel tatsächlich sein Wort halten und seinen Meister suchen würde und zum anderen hatte Emil es selbst schon vergessen. Dabei war das doch eigentlich der Grund gewesen, warum er hier bei Ezarel geblieben und ihm bei der Zubereitung der Zaubertränke geholfen hatte.
Wann hatte er da aufgehört, an Lih zu denken? Sein Platz war schließlich an Meister Lihs Seite. Nicht, dass er es je infrage gestellt hatte. Warum jetzt damit anfangen? „Mir geht es wieder gut. Es kann jederzeit losgehen“, sagte Emil. Doch seine Stimme klang nicht so überzeugend, wie er gehofft hatte.
Ezarel widersprach jedoch nicht, sondern hob sich wieder auf die Beine. „Ich werde alles vorbereiten. Du bleibst am besten solange hier. Es wäre gut, wenn das ohne Aufsehen über die Bühne geht. Morgen Abend ist das Tausend-Lichter-Fest. Wenn alle beschäftigt sind, wird keiner bemerken, dass du gehst.“
Emil schluckte. Wieso ging das plötzlich so schnell?
Ob Ezarel sich immer noch vor ihm fürchtete? Wollte er ihn deswegen so schnell loswerden?
Emils Finger krallten sich in die Decke, bevor er diese plötzlich beiseite riss.
„Warte!“ Ganz egal, ob Ezarel ihn loswerden wollte, weil er sich vor ihm fürchtete oder sich für ihn schämte. Er hatte ihm das Leben gerettet und das würde Emil ihm nie vergessen. Daher kämpfte er sich im Bett auf die Knie und senkte seinen Kopf.
Nur irgendwie konnte er einfach nicht in Worte fassen, was er fühlte. Schließlich war das ohnehin die Frage. Was fühlte er überhaupt?
„Was wird das?“, fragte Ezarel, als Emil sich nicht rührte.
„Ich will dir danken“, presste dieser schließlich hervor. „Auch wenn ich gar nicht wirklich dein Rekrut war, hast du mich immer wie einer behandelt. Ich stehe tief in deiner Schuld.“
„So?“ Ezarel schnaubte belustigt, bevor er einen Schritt auf ihn zutrat und ihm mit seinen langen Fingern durch die Haare fuhr. „Du verstehst da etwas falsch, Emil. Ich habe das nicht aus einem Pflichtgefühl herausgetan. Es ist mir gleich, ob du mein Rekrut bist oder nicht.“
Langsam hob Emil den Kopf. Auch wenn er den Elfen nicht sehen konnte, spürte er dessen Grinsen genau vor seiner Nase. Er erinnerte sich an Eweleins Worte. Anscheinend verspürte Ezarel wirklich keinerlei Verpflichtung gegenüber seinen Rekruten. Doch warum hatte er ihn dann gerettet? Ezarel war nicht der Typ, der etwas aus reiner Freundlichkeit tat.
Letzte Änderung durch Ama (Am 22.10.2022 um 18.51 Uhr)
#99 Am 16.10.2022 um 17.31 Uhr
„Ich möchte dich gerne etwas fragen“, begann Emil und zupfte an einer feinen Faser, die sich von der Decke gelöst hatte. Es gab da eine Sache, die er bei dem Gespräch mit Ewelein aufgeschnappt hatte und die ihm seitdem durch den Kopf ging. „Der Zauber, der deine Haare bunt gefärbt hat… der ist doch inzwischen aufgehoben, oder?“
Seine Frage mochte für jemanden, der nicht blind war, zwar merkwürdig klingen, doch Ezarel schien es entweder nicht zu bemerken oder nicht zu kümmern, denn er setzte sich nur nickend zu ihm an die Bettkante. „Ja, der Haarfärbe-Zauber ist gebrochen. Ich schätze, das ist auch der Grund, warum mich nun der nächste Zauber getroffen und mein Gesicht blau gefärbt hat. Ärgerlich, aber es bestärkt zumindest meine Theorie, dass mir der Fluch immer nur einen Zauber gleichzeitig auf den Hals hetzt.“
„Verstehe“, murmelte Emil. Also hatte er es richtig verstanden. Wenn der Haarfärbe-Zauber gebrochen war, dann hatte Ezarel inzwischen wohl einen Weg gefunden, wie er die Zauber auch ohne seine Hilfe lösen konnte.
Langsam blies Emil die Luft aus seinen Lungen, als ihm klar wurde, was das hieß. Die Asbest-Rosen-Tränke waren gebraut, der Fluch unter Kontrolle…
Ezarel brauchte ihn nun nicht länger. Warum sollte er ihn da nicht wieder zu seinem Meister zurückschicken? Je mehr Emil darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass es völlig egal war, warum Ezarel ihm das Leben gerettet hatte. Ihre Wege würden sich ohnehin trennen.
Mit diesem Gedanken hob sich Emil etwas wackelig auf die Beine. Auch wenn sein Kreislauf noch nicht ganz stabil war, musste er dringend an die frische Luft.
Nach zwei Schritten kam er jedoch nicht weiter. Etwas hielt ihn am Hemd zurück.
„Bleib“, forderte Ezarel und zog ihn ein Stück zurück.
Da Emil aber nicht stehen blieb, packte der Elf den Jungen an der Hüfte und hob ihn zurück auf die Matratze. „Das war keine Bitte. Ich habe es dir schon vor Tagen gesagt. Du hast Zeltarrest.“
Doch so leicht gab Emil sich nicht geschlagen. Wenn Ezarel unbedingt wollte, dass er das Lager verließ, dann konnte er auch gleich gehen. Worauf noch warten, wenn er hier absolut unerwünscht war? Allerdings war es in seiner geschwächten Verfassung deutlich schwerer an dem Elfen vorbeizukommen. Selbst das Kissen, das Emil nach ihm schmeißen wollte, war so verschwitzt, dass es ihm vor dem Wurf aus der Hand glitt.
Schließlich verlor Ezarel die Geduld. Mit einem Ruck packte er Emil am Arm und rollte ihn dann wie Sushi in die Bettdecke ein.
„Was ist denn nur los mit dir?“ Dabei drückte er ihn tiefer in die Matratze. „Ich habe es dir doch schon mehrfach gesagt: Es ist zu riskant, wenn du draußen herumläufst.“
Emil versuchte sich aus der Decke zu befreien, aber seine Arme lagen unter so vielen Schichten, dass er wie in einer Zwangsjacke gefangen war. Vielleicht klangen seine Worte deshalb etwas verbitterter als beabsichtigt. „Wenn du solche Angst davor hast, mich im Lager allein herumlaufen zu lassen, warum hast du mir dann überhaupt das Leben gerettet?“
Ezarel stieß einen frustrierten Seufzer aus. „Die Frage stelle ich mir auch langsam. Bei den Sylphen! Sei doch vernünftig. Oder hast du etwa schon vergessen, was mit Askir passiert ist?“
Anstelle einer Antwort, vergrub Emil sein Gesicht in der Decke. Er wollte jetzt echt nicht hören, wie enttäuscht Ezarel von seinem Ausbruch war. Ja, er hatte Askir ganz schön zuherichtet, aber wirklich verletzen wollte er den Reptilmann nicht. Selbst wenn Askir seinen Tod wollte, hatte Emil kein Interesse daran, sich dafür zu rächen. Egal, ob man ihm das glaubte oder nicht, er wollte das endlich einmal klarstellen. „Ich werde Askir nichts tun... oder sonst irgendjemanden. Also hör auf damit, mich wie ich ein Monster zu behandeln, das man vor der Welt verstecken müsste.“
Erst in diesem Moment wurde Emil klar, wie sehr ihn das schon an Meister Lih aufgeregt hatte. Emil hatte es so satt, als Sündenbock für den ganzen Mist herhalten zu müssen.
Er konnte nicht einmal in Worte fassen, wie sehr es ihn niederschmetterte, dass ihn jeder verurteilte ohne ihn je angehört zu haben. Als wäre er nicht nur blind, sondern auch stumm. Doch am meisten ärgerte er sich über sich selbst. Er hatte echt geglaubt, er könnte Ezarel, sich und der Welt beweisen, dass er auch noch andere Qualitäten besaß. Mit Ezarel arbeiten zu können hatte so viel Spaß gemacht. Doch nach diesem Höhenflug nun auf den harten Boden der Realität aufzuschlagen - zu wissen, dass Ezarel genau das gleiche Bild von ihm hatte wie jeder andere - war grausamer als all der offene Hass, den man ihm sonst entgegenbrachte.
Langsam fiel Emil jedoch auf, wie ruhig es geworden war.
Hatte der Elf etwa aufgegeben? Sein Griff war zwar lockerer, aber er schien sich nicht zu bewegen.
Emil befreite einen Arm, doch ehe er sich aufsetzen konnte, schnippte Ezarel ihm plötzlich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Sag mal, bist du eigentlich doof?“
Emil blinzelte irritiert.
Die Ernsthaftigkeit der Frage brachte ihn etwas aus dem Konzept.
„Und wenn schon“, knurrte er. „Lieber für Dummheit verachtet, als für Schwachsinn gefürchtet.“
Ein scharfes Lachen entwich Ezarels Kehle. „Was redest du da, bitte?“ Dabei drückte er mit seinem Unterarm gegen Emils Brustbein, um ihn still zu halten. Nur seine Stimme blieb weiterhin erstaunlich ruhig. „Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass ich irgendwen vor dir beschützen will?“
Emil, der bis eben noch alle Konzentration darauf verwendete, sich aus der Umklammerung zu befreien, hielt mitten in der Bewegung inne. „Wie? Du… du hältst mich nicht für eine Gefahr?“
„Doch natürlich.“ Ezarels süffisantes Lachen hallte in seinen Ohren. „Du bist schließlich eine wandelnde Unfallzone.“ Dann wurde seine Stimme jedoch schlagartig ernst. „Aber du bist mehr eine Gefahr für dich selbst als für andere. Also nimm dich nicht so wichtig, klar? Die Rolle des Bösewichts steht dir eh nicht.“
Emil spürte, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht entwich. „Aber die Sache mit Askir. Du meintest doch…“
„Dass ich sehr wohl verstanden habe, was da passiert ist“, unterbrach Ezarel. „Ich habe schon vor einer Weile bemerkt, dass er es auf dich abgesehen hat.“
„Aber du warst so sauer…“ beharrte Emil. Auch wenn er die Ursache der Gefühle oftmals nicht verstand, war er doch ziemlich gut darin, diese bei anderen wahrzunehmen. Das hatte er sich bestimmt nicht eingebildet.
„Natürlich war ich das“, stimmte Ezarel zu. „Aber nicht auf dich, sondern auf Askir. Wenn du ihn nicht zusammengeschlagen hättest, hätte ich das übernommen. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass er sich aufführte, als würde der Laden ihm gehören.“ Ezarel seufzte. „Ich weiß, dass ich das in der Situation nicht sehr klar gemacht hatte, doch ich habe auch eine politische Verantwortung. Deutlicher konnte ich nicht werden. Askir ist sehr gut darin, Tatsachen zu verdrehen. Ich konnte nicht riskieren, dass jemand öffentlich deinen Kopf fordert. Manchmal schützt man Leute am besten, indem man sie selbst bestraft. Deswegen wollte ich auch, dass du dich versteckst. Das habe ich sicher nicht für Askir getan, du Dummerchen.“
Emil blies langsam die Luft aus den Lungen, als er die Informationen für sich neu ordnete. „Heißt das, du wolltest gar nicht die Gardisten vor mir schützen, sondern mich vor den Gardisten?“
Ezarel räusperte sich, sagte jedoch nichts. Stattdessen lehnte er sich ein Stück zurück.
Endlich hatte Emil genug Spielraum, um sich wieder aufsetzen zu können. Keinen Moment zu früh, denn allmählich wurde ihm unter der Decke ziemlich heiß. Doch vielleicht war das nicht der einzige Grund, warum er langsam wieder besser Luft bekam. Der Druck in seiner Brust nahm spürbar ab.
„Eine Sache musst du mir aber versprechen“, murmelte Ezarel, als Emil sich neben ihn an die Bettkante setzte. „Ich verachte dich nicht. Auch wenn du nervst, bist du kein schlechter Mensch. Also erzähl nie wieder so einen Unsinn, ja?“
Emil konnte nicht anders als zu lächeln. „Ist das etwa eine neue Regel?“
„Nicht, wenn du wieder planst, gegen alle auf einmal zu verstoßen.“ Ezarels bitteres Grinsen war alles, was Emil brauchte, um sich wieder ganz zu beruhigen.
Anscheinend war er es, der vorschnell geurteilt hatte. Ezarels Ruf wurde ihm echt nicht gerecht.
„Du gibst dir mit deinen Rekruten mehr Mühe als du zugibst“, merkte Emil an. „Vielleicht steht dir die Rolle des Tyrannen nicht.“
„Tse… Als ob ich das für jeden tun würde…“
„Das heißt, ich bin besonders?“ Emil legte den Kopf schief.
„Du…“ Ezarel hustete. „Du hast eine gute Nase und wirst sicher mal ein solider Alchemist. Betrachte es eher als Investition meinerseits.“
„Das heißt, du hast mir das Leben gerettet, weil du in mich investierst? Dann arbeitest du gern mit mir zusammen?“
Langsam holte Ezarel tief Luft, ehe er sich rücklinks auf die Matratze fallen ließ. Es schien, als wäre er mit einem Mal echt kaputt. „Lass dir das nicht zu Kopf steigen. Du hast noch viel zu lernen. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich dir das Leben gerettet habe. An meiner Situation hat sich schließlich nichts geändert.“
Emil blinzelte verwirrt.
„Der Fluch“, erinnerte Ezarel, als müsste er ihm das Ein-mal-Eins erklären. „Schon vergessen? Du bist der einzige, der die Zauber lösen kann, die der Fluch anzieht. Mein Leben hängt sprichwörtlich mit deinem zusammen. Keine Ahnung, ob es Fluch oder Segen ist, aber von deiner Sorte gibt es nicht viele. Also pass gefälligst auf dich auf, klar?“
Emil nickte etwas verloren, bis sich die Bewegung plötzlich in ein verwirrtes Schütteln verwandelte. „Aber… Du hast den Zauber, der deine Haare bunt färbte, doch gebrochen. Du hast es selbst gesagt. Das heißt, du hast das gelöst.“
„Ja,… nein…“, druckste Ezarel etwas beklommen. War er etwa sauer… oder gar verlegen?
Nachdenklich tippte Emil sich gegen die Lippen, bis ihm plötzlich ein Licht aufging „Warte. Kann es sein, dass du mich als ich bewusstlos war…“
Doch bevor er weitersprechen konnte, sprang Ezarel auf und hielt ihm den Mund zu. „Wiederbelebt habe?“, beendete er Emils Satz. „Ja. Also lass uns darüber nicht mehr sprechen, verstanden?“ Er räusperte sich und wandte das Gesicht ab.
Doch Emil konnte auch so spüren, dass Ezarels Wangen heißer wurden. War er etwa so wütend darüber?
Naja, kein Wunder. Ezarel hasste so engen Körperkontakt. Wenn er dasselbe empfand, was Emil empfunden hatte, als sich Askir so aufgedrängt hatte, dann war es verständlich, dass er wütend wurde.
Aber irgendwie machte Emils Herz einen klitzekleinen Sprung, als er so darüber nachdachte. „Das heißt, du brauchst mich also noch?“
Ezarel sagte nichts, widersprach aber auch nicht, was Emil mehr als genügte, um vergnügt auf und ab zu wippen. Was war das nur für ein seltsames Gefühl, was sich in ihm ausbreitete? Erleichterung?
Doch ehe er mehr darüber nachdenken konnte, bemerkte er, wie Ezarel sich wieder zurück auf die Matratze fallen ließ und halbherzig an der Bettdecke zog, die noch um Emils Beine gewickelt war.
Der Elf musste echt ganz schön müde sein. Anscheinend hatte er bei Weitem nicht so viel Schlaf nachgeholt wie er eigentlich brauchte.
„Darf ich dir noch eine letzte Frage stellen?“, begann Emil und breitete dann die Decke über dem Elfen aus, ganz darauf bedacht, ihn nicht unnötig zu berühren.
Ezarel seufzte, sein Atem war schon so flach, als würde er jeden Moment wegnicken. Aber da war auch kein Widerspruch.
Um nicht zu laut zu sein, legte Emil sich vorsichtig neben ihn und flüsterte die Worte nur, die ihm noch auf der Seele brannten. „Wieso willst du, dass ich zurück zu meinem Meister gehe, wenn du mich noch brauchst?“
Wie nahe er Ezarel dabei war, merkte er jedoch erst, als dieser nur wenige Zentimeter vor ihm antwortete. „Wer sagt, dass ich das will?“
„Aber…“ Doch bevor Emil weitersprechen konnte, legte Ezarel ihm einen Finger auf die Lippen. „Das war bereits eine Frage. Überleg dir beim nächsten Mal vorher, was du forderst.“
Mit diesen Worten drehte der Elf sich auf die andere Seite und schien schon mit dem zweiten Atemzug die Schwelle in den Schlaf übertreten zu haben.
Beim nächsten Mal? Er schien nicht den geringsten Zweifel zu haben, dass Emil seiner Anordnung folgen und hier im Zelt bleiben würde.
Und er gab Emil nicht einmal eine Anweisung, die üblichen anderthalb Meter Abstand zu wahren.
Emil schmunzelte und legte sich dann neben dem Bett auf den dicken Teppich. Der war weich genug und inzwischen war ihm auch nicht einmal mehr kalt.
Ganz im Gegenteil. Ihm war sogar ziemlich warm. Doch im Gegensatz zum Fieber war das nicht unangenehm.Am liebsten wollte er noch viel mehr von dieser Hitze, die auf seiner Haut kribbelte wie süßes Sonnenlicht.
Und er hatte das Gefühl, alles, was er dafür brauchte war Ezarels Vertrauen.
Allerdings war einseitiges Vertrauen nutzlos. Wie eine Pflanze, die man in die Sonne setzte, aber vergaß zu gießen.
Vielleicht wurde es langsam an der Zeit, dass er Ezarel endlich die Wahrheit über sich erzählte. Die Wahrheit über die Angriffe auf die Dörfer, warum er sich mit Flüchen auskannte, warum er sich mit Lih gestritten hatte und wie das alles zusammenhing. Wenn ihm einer zuhören und einer verstehen würde, dann vielleicht Ezarel. Er musste es zumindest versuchen.
Ja, das sollte er gleich als Erstes tun, wenn sie wieder wach waren. Während Emil diesen Entschluss fasste, lullte Ezarels sanfter Atem auch ihn langsam in den Schlaf.
Letzte Änderung durch Ama (Am 22.10.2022 um 19.18 Uhr)
#100 Am 23.10.2022 um 18.21 Uhr
Drei Fragen?
Das klang so einfach – zu einfach. Denn ich wusste genau: Ich konnte Lih nicht trauen.
Allerdings schien er sich dessen selbst bewusst zu sein.
„Natürlich erwarte ich nicht, dass du mir blindes Vertrauen entgegenbringst“, sagte er und kam langsam auf mich zu. „Es gibt schließlich keinen Grund anzunehmen, dass ich dir ehrlich antworte. Daher schlage ich vor, dass wir einen Pakt eingehen.“
Erschrocken wich ich ein Stück zurück. In der Schule hatte ich genug von Goethes Faust gelesen, dass bei dem Wort „Pakt“ bei mir sofort alle Alarmglocken anschlugen. „Warum müssen wir für ein paar Fragen gleich einen Pakt eingehen?“
Meine Fassungslosigkeit musste mir deutlich ins Gesicht geschrieben sein, denn Lih lachte höchst amüsiert. „Keine Angst, das ist keine große Sache. Genau genommen, besteht der Pakt nur für den Zeitraum, in dem wir uns die Fragen stellen. Er garantiert uns aber, dass wir einander nicht anlügen können.“
„Keine große Sache, huh?“, wiederholte ich nur. Meine Stimme konnte mein Misstrauen nur schwer verbergen. Mit den Zaubern dieser Welt hatte ich bislang zu wenig Berührungspunkte, um das Risiko einschätzen zu können. Doch das durfte ich mir nicht anmerken lassen. Lih würde meine Unwissenheit sicher ausnutzen.
Obwohl sein höhnischer Blick mir sagte, dass er ohnehin ahnte, wie gering mein Wissen in diesen Dingen war.
„Du weißt schon… bloß ein handelsüblicher Pakt“, betonte er und nahm dann mit süffisanter Miene auf der Couch Platz, wo er auf den freien Sitz neben sich tippte. „Es tut auch nicht weh.“
Etwas unbeholfen sah ich zwischen ihm und der Haustür hin und her, bis er schließlich etwas ungeduldig mit dem Fuß wippte. „Ich werde dich sicher nicht zwingen, aber ich habe auch nicht den ganzen Tag Zeit.“
Ich war mir sicher, dass das nur Teil seiner Taktik war, mich in Sicherheit zu wiegen und gleichzeitig unter Druck zu setzen. Es würde zu Lih passen. Doch…
Mein Blick glitt zur Haustür, ehe ich diese mit einem lauten Knall zuschlug.
Sei’s drum! Das Risiko musste ich eingehen.
Schließlich war ich so kurz davor, endlich Antworten zu erhalten. Nicht nur um Val zu warnen. Chrome würde es mir nie verzeihen, wenn ich jetzt meinen Schwanz einzog und vor dieser Gelegenheit davonlief. Ich würde mich Lih und der Wahrheit stellen. So viel stand fest.
Aber anstatt neben ihm Platz zu nehmen, setzte ich mich auf den Tisch vor der Couch und starrte ihn herausfordernd an. „Von mir aus machen wir das mit dem Pakt, aber du wirst mir zunächst ganz genau erklären, wie das abläuft.“
Sein Kinn zuckte für einen Moment nach oben, ehe er nickte. „Klar doch. Zuerst einigen wir uns auf die Bedingungen des Paktes. Danach…“, er griff nach meiner Hand, „lassen wir Maana durch unsere Hände fließen, um diesen zu besiegeln. Das ist im Prinzip schon alles.“
Das klang in der Tat ziemlich simpel. Wobei es gut möglich war, dass das alles auch kompletter Unsinn war und er mir am Ende doch nur Lügen erzählte.
„Haben Worte denn echt so viel Macht?“ fragte ich.
Sein Grinsen wirkte beinahe ehrfürchtig. „Worte können sogar erstaunlich viel Macht haben. Allerdings beeinflussen sie nur die Paktteilnehmer. Sie haben keinen Effekt auf Außenstehende.“
Das war tatsächlich beruhigend. Ich brachte also zumindest mit meinem Leichtsinn niemand anderen in Gefahr.
„Wenn du keine Einwände hast, dann würde ich folgende Formulierung vorschlagen“, er lehnte sich ein Stück nach hinten ohne mich aus den Augen zu lassen, „‘Ich schwöre, dass ich uneingeschränkt ehrlich sein werde, solange bis ein jeder von uns seine drei Fragen gestellt hat.‘“
„Drei Ja-oder-Nein-Fragen“, ergänzte ich sofort.
Er sah mich prüfend an und ich hätte schwören können, dass sich seine Augen kurzzeitig schmälerten. Hatte er das etwa absichtlich weglassen wollen?
Auf jeden Fall nickte er und korrigierte die Formulierung.
Ich ließ mir das kurz durch den Kopf gehen. „Was ist, wenn man eine Antwort nicht weiß?“
„Das wäre doch auch eine ehrliche Antwort“, erinnerte er mich. „Sofern man der Frage damit nicht ausweicht. Da fällt mir ein… Wir sollten auch festhalten, dass man den Fragen in keiner Weise entfliehen kann. Es wäre ja höchst ärgerlich, wenn du deine Fragen gestellt hast und dann einfach Reißaus nimmst. Du verstehst doch sicher, dass ich mich da auch absichern will, nicht wahr?“
Die Narbe zwischen seinen Brauen verzog sich zu einem gezackten Blitz, als er die Stirn in Falten legte, was sein Gesicht noch bedrohlicher wirken ließ.
Doch ich zuckte nur mit den Schultern.
Tatsächlich hatte ich nicht vor, seinen Fragen auszuweichen. Warum auch? Im Prinzip hatte ich nicht wirklich etwas zu verbergen. Von daher war mir das egal.
„Dann machen wir das so“, er grinste mich an und zog mich dann ruckartig an meiner Hand zu sich heran. „Und jetzt sprich mir nach: ‚Ich schwöre, dass ich uneingeschränkt ehrlich sein und keiner Frage entfliehen werde, solange bis ein jeder von uns seine drei Ja-oder-Nein-Fragen gestellt hat.‘“
Ich wiederholte den Schwur.
Doch kaum hatte ich das letzte Wort gesprochen, bemerkte ich, wie Maana aus unseren Fingern strömte und dann ein flammendes Symbol in unsere Hände brannte.
„Was zum…?“, ich versuchte mich loszureißen, doch Lihs Griff hielt mich fest umschlossen.
„Beruhige dich. Das verschwindet, sobald der Pakt vollendet ist.“
Erst als ich widerwillig nickte, ließ er mich los und lehnte sich zurück in die Couch.
Vorsichtig strich ich über das Mal auf meinem Handrücken. Es tat nicht weh, aber irgendwie war mir damit alles andere als wohl.
Ansonsten fühlte ich mich aber nicht groß anders. „Woher weiß ich, dass das funktioniert?“
Er warf mir einen spielerischen Blick zu. „Das beweise ich dir gern. Du hast sicher nichts dagegen, wenn ich den Anfang mache... Also kommen wir gleich zur Sache.“ Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht, als würde eine dicke Wolke den Himmel verdunkeln. „Sag mir; kannst du inzwischen deine Wasser-Kräfte kontrollieren?“
Ich hatte die Frage kaum gehört, da spürte ich schon, wie sich mein Körper versteifte. Die Worte fuhren in meinem Kopf rauf und runter wie auf einer Achterbahn und hallten wie ein endloses Echo in meinem Ohr. Alles drehte sich und mein Mund begann zu brennen, während ich versuchte, mich dagegen zu wehren. Schweigen war schmerzhaft, und nur daran zu denken, zu lügen bereitete mir körperliche Qualen.
„Nein, kann ich nicht“, entfuhr es meinen Lippen. Sie sprachen fast wie von selbst. „Ich kann diese Kräfte nicht kontrollieren.“
Mit einem Mal verschwand das Chaos in meinem Kopf. Es war wie eine Erlösung.
„Na?“, Lih grinste wieder. „Du scheinst überzeugt.“
Allerdings. Das war heftig. Aber davon ließ ich mich nicht einschüchtern. „Jetzt bin ich an der Reihe.“ Entschlossen blickte ich zu Lih.
Er sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und ernstem Interesse an. Da war nicht ein Hauch von Besorgnis. Wie konnte es sein, dass ihn die Sache überhaupt nicht zu beunruhigen schien? Glaubte er etwa, dass meine Fragen ihm nicht gefährlich werden könnten oder dass ich sowieso nur an der Oberfläche schabte?
Oder wusste er in Wahrheit weniger als er behauptet hatte?
Ich warf ein Blick zu dem Zimmer im ersten Stock. Ein Teil der Asche, die ich vorhin durch meinen Wasser-Stoß aufgeworfen hatte, wirbelte noch immer in der Luft. Ich erinnerte mich, wie Lih in das Zimmer gekommen war und wie wenig der Anblick ihn überrascht hatte. Vielleicht sollte ich da anfangen.
„Sag mir: glaubst du, dass Lillif das Zimmer da oben zerstört hat?“, sprach ich meine erste Frage laut aus.
Lihs Gesicht wirkte seltsam ruhig, als er antwortete. „Ja. Ich glaube, dass das Lillif war.“
Mein Atem beschleunigte sich.
Ich wusste es. Langsam fügte sich das Bild. Mal sehen, wie Lih auf die nächste Frage reagieren würde.
„Dann sag mir: Ist Lillif die Bestie?“ Kaum hatte ich meine Vermutung endlich laut ausgesprochen, fühlte ich, wie nah ich der Wahrheit auf der Spur war. Bisher war das nur ein Gefühl in meiner Magengegend gewesen, doch eigentlich passte alles zusammen: Lillifs Art, ihre falschen Spiele, ihre Täuschungsversuche und die Tatsache, dass ich das gleiche rötliche Pulver oben im Zimmer gefunden hatte wie Val am letzten Tatort – dem Brand nahe Balenvia. Lillif war sicher noch in der Nähe. Sie hatte also die Kraft und die Gelegenheit. Natürlich war sie die Bestie.
Tatsächlich wollte ich schon gar nicht mehr auf Lihs Antwort warten, sondern direkt los und Val warnen, bis mir auffiel, dass Lih noch immer nicht geantwortet hatte.
Stattdessen sah er mich ziemlich eindringlich an. Er musste unglaubliche Qualen erleiden, die Antwort so lange zurück zu halten, doch aus irgendeinem Grund genoss er einfach den Anblick meiner Miene, die von Überzeugung langsam zu Verwirrung überging.
„Nein, Lillif ist nicht die Bestie“, sagte er schließlich und zog einen Mundwinkel nach oben. „Aber mach dir nichts draus. Du bist nicht dümmer als der Rest Eldaryas. Nur eben auch nicht schlauer.“
Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
Das musste eine Lüge sein. Ob der Pakt nicht funktionierte? Ich war mir doch so sicher.
„Ich würde dann weitermachen“, sagte Lih. Doch bevor er etwas fragen konnte, stemmte ich entschlossen die Hände auf meine Knie und lehnte mich zu ihm vor. „Moment. Eine Frage habe ich noch.“
„Wie du meinst“, er machte sich inzwischen keine Mühe mehr sein höhnisches Grinsen zu verbergen. „Dann schieß mal los. Ich bin ganz Ohr.“
Doch dieses Mal ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen. Ich stand auf und lief nachdenklich durch das Zimmer. Derweil rekelte Lih sich betont desinteressiert auf der Couch.
Na warte, murmelte ich mir selbst zu. Der wird schon sehen, was er davon hat, mich nicht ernst zu nehmen. Allerdings hatte ich tatsächlich keine weiteren Anhaltspunkte. Ich wusste noch nicht einmal, ob Lih dieses Verhör manipuliert hatte oder ob ich wirklich auf dem Holzweg war.
Vielleicht sollte ich kurz die Fakten zusammenfassen.
Was wusste ich denn über die Bestie?
Sie besaß eine humanoide Gestalt, das heißt, sie konnte sich in ein menschenähnliches Wesen verwandeln. Außerdem entführte sie bei jedem Angriff mehrere blonde Mädchen. Jetzt, wo ich so darüber nachdachte… Warum sollte Lillif andere Frauen entführen? Sie hatte schließlich ein Puder und Zauber, um die Gestalt der Leute in ihre eigene zu verwandeln. Diese ganze Entführungsgeschichte ergab da in der Tat keinen Sinn.
Außerdem war sie mit Val zusammen unterwegs. Er stand zwar manchmal auf dem Schlauch, aber immerhin jagte er die Bestie. Wieso sollte Lillif sich mit dem Mann umgeben, der Jagd auf die Bestie machte, wenn sie selbst die Bestie wäre? War das reine Irreführung?
Meine Stirn zog sich schmerzhaft zusammen. Nein, ich glaube, wenn sich einer irrte, dann war ich es. Da passte tatsächlich einiges nicht zusammen.
Wahrscheinlicher war, dass Lillif mit der Bestie zusammenarbeitete und Val so in Schach hielt.
Konnte das sein? Ich warf einen kurzen Blick zu Lih. Dieser lag seelenruhig auf der Couch und strich über das Polster, als würde er ein Haustier streicheln.
Lih schien zu bezweifeln, dass ich oder überhaupt jemand je dahinterkommen würde. Das hieß, die Wahrheit war etwas komplizierter als das.
So ein Mist. Ich hatte nur noch eine einzige Frage übrig. Mit Raten allein kam ich nicht weiter. Ich musste dieses Mal sicher sein. Wenn Val doch hier wäre…
Plötzlich fiel mir ein, dass Val zum Abschied etwas Seltsames gesagt hatte.
Er meinte, er würde sich von Lillif zur Bestie führen lassen, aber sich weigern, sie vor der Bestie zu beschützen. Was, wenn das stimmte?
Was, wenn Lillif nicht mit der Bestie zusammenarbeitete, sondern sich vor ihr versteckte?
Immerhin war sie blond… wie die anderen.
Wobei… eigentlich war Lillif keineswegs wie die anderen Mädchen.
Ich meine, sie hatte Kräfte, die ein ganzes Zimmer in Schutt und Asche legen können.
Damit war sie doch mindestens genauso gefährlich wie die Bestie.
Moment! Ich hielt mitten in der Bewegung inne. Wie komme ich darauf, dass Lillif genauso gefährlich wie die Bestie sei?
Eine Erinnerung drang an die Oberfläche meines Bewusstseins. Es war der erste Abend in Eldarya. Kurz nach meiner Ankunft. Das erste Mal, dass ich auf die Gefährten dieser Welt gestoßen war und Val mich vor dem Grookhan retten musste.
Ja, ich hatte Angst und hielt das Ungetüm für ein Monster. Doch Val hatte mich eines Besseren belehrt. Nur weil ein Wesen groß ist und gefährlich aussieht, ist es noch lange nicht böse…
Was wenn wir die Motive der Bestie bislang völlig missverstanden haben?
Meine Hand umschloss meinen Mund, als der Gedanke in meinem Kopf allmählich Gestalt annahm.
Das war völlig abwegig, absurd und irrational.
Doch genau deshalb hielt ich daran fest.
„Ich habe nun meine letzte Frage“, begann ich und sah zu, wie Lih langsam in meine Richtung spähte.
Letzte Änderung durch Ama (Am 23.10.2022 um 20.02 Uhr)