Geneigte Leserschaft,
mit diesem Part endet das vierte Chapter!
Und mit ihm wird ein Teil der Geheimnisse um die Bestie gelüftet.
Ich hoffe, dass ich das fünfte und letzte Chapter bis nächste Woche fertig geplant kriege, ansonsten müsste ich den Upload des nächsten Parts etwas verschieben.
In jedem Fall danke ich für eure Treue. Das gibt mir Mut und Durchhaltevermögen!
Viel Vergnügen
Ama
Nur Vermutungen.
Alles, was ich anstellen konnte, waren nichts als Vermutungen. Vermutungen eines Menschenmädchens, das erst vor Kurzem in dieser Welt gelandet war und selbst so banale Dinge wie Zauber und Pakte nicht verstand. Doch vielleicht war diese Unwissenheit keine Schwäche.
Vielleicht erlaubte mir mein unbefangener Blick Dinge zu erkennen, die den meisten Eldaryanern verwehrt blieben.
Entweder das oder ich machte mich gleich richtig zum Gespött.
Ganz egal.
Manchmal musste man einfach auf sein Bauchgefühl vertrauen.
„Meine Frage“, wiederholte ich mutig. „Sie betrifft die Zerstörung der Dörfer.“
Lih nickte, als hätte er etwas in der Hinsicht erwartet. „Lass mich raten: Du willst mich fragen, ob Lillif mit der Bestie zusammenarbeitet?“
Diesmal war ich es, die seine Gesichtszüge genau beobachtete, während ich den Kopf schüttelte. „Ich weiß, dass du die Frage verneinen würdest.“
„So?“ Seine Stimme klang noch immer arrogant, aber da war kein Grinsen mehr in seinem markanten Gesicht.
Daher nickte ich selbstbewusst. „Ja, ich denke, ich habe dich durchschaut.“
„Durchschaut?“, wiederholte er und hob beinahe erleichtert einen Mundwinkel. „Willst du mich etwa fragen, ob ich mit der Bestie zusammenarbeite?“
Zugegeben, Lihs Rolle bei der ganzen Sache gab mir am meisten zu denken. Doch ich konnte ausschließen, dass er selbst in die Angriffe verwickelt war. Es gab keine Berichte über Blitze, Donner oder sonstiger Elektro-Schocks. Außerdem konnte ich ihm ansehen, dass ihn die bloße Vermutung, dass er mit der Bestie unter einer Decke steckt, unglaublich zu amüsieren und nicht im Geringsten zu beunruhigen schien. Ganz im Gegenteil.
Er schien es fast zu provozieren, dass ich danach frage.
Was hieß… dass ich auf keinen Fall darauf hereinfallen durfte. Daher ließ ich mich von ihm nicht aus dem Konzept bringen. „Ich glaube eher, du hast dich auf dieses Spiel eingelassen, weil du nicht davon ausgegangen bist, dass ich die richtige Frage stellen würde. Dein Plan wäre vielleicht auch aufgegangen, wenn deine herablassende Art mich nicht auf eine Idee gebracht hätte. Manchmal muss man nämlich genau die Annahmen hinterfragen, die man für selbstverständlich hält. Denn manches ist nicht so simpel wie es auf den ersten Blick scheint. Und es gibt tatsächlich eine Sache, die für jeden so klar zu sein scheint, obwohl dafür eigentlich nie ein Beweis erbracht worden ist.“
Während ich sprach, trat ich näher auf ihn zu, um direkt vor ihm Platz zu nehmen. Ich genoss es ein bisschen, seine selbstgefällige Fassade bröckeln zu sehen. „Weißt du, ich bin der Bestie selbst nie begegnet, doch ich habe die Auswirkungen der Brände gesehen. Ich kenne die Geschichten der Flüchtlinge und die Ermittlungen der Garde. Bei jedem Angriff war es stets der gleiche Ablauf: Fremde kamen in das Dorf und mitten in der Nacht brach ein Feuer aus. Die Leute flohen und erblickten dabei die Bestie, die durch das brennende Dorf streifte und blonde Mädchen entführte. Die Sache ist nur die: Keiner hat je davon berichtet, wie die Bestie das Feuer gelegt hat.“
Lihs Blick blieb völlig regungslos, während ich sprach. Doch ich konnte genau sehen, wie sich die Ader auf seinem Hals schneller bewegte. Dabei wurde mir langsam etwas bewusst. Die Bedingungen des Paktes besagten, dass wir für die Dauer des Paktes einander nicht anlügen konnten. Das hieß, dass er mir in dieser Zeit generell nichts vormachen konnte - selbst wenn ich ihn nicht direkt nach der Wahrheit fragte. Vielleicht hatte er deswegen seine Mimik auch etwas weniger im Griff als sonst.
Es kostete mich nun kaum Mühe, seinen bohrenden Blicken standzuhalten, denn jedes Bisschen Ärger in seinem Gesicht bestärkte mich nur in meiner Vermutung. Vor allem, nachdem ich die folgenden Worte endlich laut aussprach: „Aus diesem Grund glaube ich, dass die Bestie gar nichts mit den Bränden in den Dörfern zu tun hat. Ferner halte ich es für möglich, dass sie nach dem Schuldigen sucht. Es wäre also durchaus möglich, dass sie die blonden Mädchen deshalb entführt, weil die Bestie die Schuldige unter ihnen vermutet.“
In meiner ersten Nacht in Eldarya war Val es gewesen, der mich gelehrt hatte, dass man einem Wesen nicht ansehen konnte, ob es böse war. Ob er je davon ausgegangen wäre, dass jemand diese Schlussfolgerung je auf die Bestie übertagen würde?
Lih wollte etwas erwidern, doch die Worte kamen ihm nicht so recht über die Lippen.
Ehe er sich wieder fassen konnte, lehnte ich mich noch ein Stück näher zu ihm vor. „Ehrlich. Ich habe keine Ahnung, was du davon hast, alle Welt in diesem Glauben zu lassen, wo du doch die Wahrheit genau zu kennen scheinst. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr. Also sag mir; kann es sein, dass Lillif für die Brände der Dörfer verantwortlich ist und nicht die Bestie?“
Lihs Zähne bohrten sich in seine Unterlippe, bis etwas Blut von diesen auf sein Kinn tropfte.
Doch letzten Endes hatte es keinen Zweck.
„Ja“, spie er es aus, als käme ihm die Wahrheit hoch wie verdorbenes Essen. „Lillif allein ist für die Brände der Dörfer verantwortlich.“
Mein ganzer Körper begann zu zittern, als ich die Bestätigung aus seinem Mund hörte.
Obwohl ich so überzeugt davon war, konnte ich es immer noch nicht glauben. „Aber wieso hast du dann die Mädchen…?“
„Deine Fragen enden hier!“ Seine Stimme donnerte durch den Raum, sodass ich automatisch verstummte.
Es stimmte. Meine Fragen waren aufgebraucht. Doch eigentlich war mir das gleich.
Ich würde Lih nicht vom Haken lassen.
Damit würde ich ihn nicht davonkommen lassen.
Lih sah meine verbissene Miene und zog mich am Kragen zu sich heran. „Du fühlst dich schlau, was? Doch glaubst du wirklich, dass ich diese Möglichkeit nicht mit einkalkuliert habe? Du schnüffelst hier in Lillifs Sachen herum… Du hast das Zimmer oben entdeckt… Meinst du echt, ich hätte dich mit dieser Entdeckung gehen lassen, selbst wenn du der Wahrheit nicht auf die Schliche gekommen wärst?“
Das wurde mir zu bunt. Bevor er weitersprechen konnte, schlug ich seine Hand beiseite und sprang vom Couchtisch auf. Allerdings kam ich nicht bis zur Haustür.
Verwundert drehte ich mich um.
Doch Lih war nicht einmal in meiner Nähe. Er stand gerade auf und warf mir einen undefinierbaren Blick zu.
Wieso konnte ich mich bloß nicht weiterbewegen?
Die Tür war doch genau vor meiner Nase. Es fehlten vielleicht zwei Schritte. War das irgendeine Magie?
„Lass mich gehen“, forderte ich.
Lih grinste und kam einen Schritt auf mich zu.
Ich spürte, wie der Druck nachließ und eilte mit einem Bein voran – nur um dann vor demselben Problem zu stehen. Ich kam wieder nicht weiter. Es trennte mich genau ein Schritt von der Tür. Verzweifelt griff ich nach vor, doch ich konnte den Knauf einfach nicht erreichen. Stattdessen bemerkte ich, wie das Mal auf meiner Hand wild zu glühen begann.
„Der Pakt“, erinnerte Lih. „Du kannst nicht vor mir fliehen. Nicht solange bis ich meine übrigen zwei Fragen gestellt habe. Solange sind wir wohl auf zehn Schritte aneinandergefesselt.“
Das war doch ein Witz, oder?
„Verdammt“, knurrte ich und lief zu ihm zurück. „Dann stell schon deine Fragen!“
Doch da war es wieder. Dieses süffisante Grinsen auf seinem Gesicht, während er genüsslich die Arme vor seiner Brust verschränkte.
Natürlich.
„Du hattest nie vor, mir drei Fragen zu stellen, oder?“, schussfolgerte ich fassungslos. „Dieser ganze Handel, der Pakt…“
„… diente dazu, dich an mich zu binden“, beendete er den Satz. „Ja, ganz richtig.“
Meine Hände ballten sich fest zusammen. Ich bin echt auf ihn hereingefallen. Von wegen, er wollte mich nur testen. Ganz gleich, wie unser Fragespiel auch ausgegangen wäre, er hatte mich damit nur ködern wollen, um mir diesen Pakt aufzuschwatzen.
„Weißt du“, Lih griff nach seinem Stock, „dieses Mal wird es deutlich schwerer sein, aus dem Berg zu entkommen.“
„Ich kann dir das Leben auch so zur Hölle machen“, knurrte ich. Doch eigentlich war es nicht die Wut, die aus mir sprach. Es war Panik.
Vielleicht begann meine Stimme deswegen unkontrollierbar zu zittern. „Ich habe es schon einmal gesagt; es gibt jemanden, dem ich helfen muss und davon wird mich nichts und niemand abhalten können. Das hast du bisher nicht geschafft und das wirst du auch in Zukunft nicht schaffen. Ich werde immer einen Weg finden, zu entkommen. Und wenn ich dich direkt bekämpfen muss.“
„Und wie willst du gegen mich ankommen?“, fragte er und tippte auf seinen Stock, als müsse er mich daran erinnern, wie gewaltig seine Macht doch war. „Soweit ich mich recht entsinne, hast du deine Kräfte doch nicht unter Kontrolle.“
Ich hielt inne. Hatte er sich deshalb in seiner ersten Frage auf meine Kräfte bezogen? Wollte er wissen, wie gefährlich ich ihm werden konnte?
Er hat das wirklich gut durchdacht. Das musste man ihm echt lassen.
Und wenn ich eines aus zehn Jahren Pokémon-Spiel gelernt hatte, dann war ich ihm gegenüber in Punkto Level, Erfahrung und Element auch deutlich im Nachteil. Aber das würde mich nicht davon abhalten, zu kämpfen, um zu Chrome zurück zu gelangen. So viel stand fest.
„Ich würde mich an deiner Stelle nicht darauf verlassen, leichtes Spiel zu haben“, erwiderte ich und funkelte ihn entschlossen an. „Du hast doch gesehen, wie es dir ergehen kann, wenn du mich unterschätzt. Auch wenn ich diese Kraft noch nicht verstehe, vertraue ich darauf, dass sie mich weiterhin beschützen wird.“
„Du bist naiv“, sagte er und rieb sich die Stirn. Irgendetwas in meinen Worten schien ihn aber nachdenklich zu stimmen.
„Nun“, er seufzte schließlich. „Vielleicht finden wir auch ein Arrangement, das uns beiden nützt. Du magst mir das vielleicht nicht glauben, aber ich habe keinen persönlichen Spaß daran, dich einzusperren und durchzufüttern. Essen in Eldarya ist immerhin spärlich rationiert.“
Tatsächlich war das eine der wenigen Sachen, die ich ihm sofort glaubte. Nicht zuletzt, weil er immer noch unter der Wirkung des Paktes stand und mich nicht belügen konnte. Irgendwie war das schon ulkig. Ich hatte das Gefühl, wir spielten endlich mit offenen Karten. Und vielleicht hatte ich kein so schlechtes Blatt wie ich vor wenigen Minuten noch befürchtet hatte.
„Da ich dich nicht laufen lassen kann, wirst du mir wohl erzählen müssen, wen du retten willst“, sagte er.
„Du könntest raten und mich fragen“, erwiderte ich.
Lih lachte. „Netter Versuch. Aber das wird wohl nicht passieren. Die letzten beiden Fragen werde ich mir aufheben. Wenn du also wohin möchtest, solltest du mich überzeugen, dich zu begleiten. Ansonsten sitzen wir hier fest, bis einer von uns beiden den anderen überrumpelt und mit sich schleift.“
Dass ich es darauf ankommen lassen würde, schien er wohl an meinem Gesicht ablesen zu können, denn bevor ich etwas erwidern konnte, kramte er in seinem Mantel und zog dann ein gefaltetes Papier heraus. Es war schon etwas verblichen. Vermutlich, weil es lange der Witterung ausgesetzt war, doch ich erkannte es sofort. Es war eines der Fahndungsposter, auf dem mein Gesicht abgebildet war.
„Deiner Reaktion nach zu urteilen, weißt du was das ist“, erklärte er schmunzelnd. „Dann lag ich mit meiner Vermutung also richtig. Die Garde von Eel sucht nach dir. Du musst echt was ausgefressen haben, dass sie den halben Wald damit zukleistern. Weißt du, ich habe etwas recherchiert. Die Leute reden erstaunlich viel, wenn sie sauer sind. Es heißt, du seist abgehauen, weil du für den Tod eines Wolfsjungen verantwortlich bist.“
„Er ist nicht tot“, knurrte ich sofort.
Lih grinste. „Sag bloß, du willst die Sache noch zu Ende bringen?“ Er hielt mich auf Abstand, als ich ihm an die Gurgel wollte. „Ach stimmt, du meintest, du wolltest jemanden retten. Ich schätze, du meintest ihn.“
Widerwillig nickte ich. Tatsächlich konnte ich nicht lügen. Der Pakt verhinderte es. Aber ich konnte zumindest die Details verschweigen, wenn er nicht direkt nach ihnen fragte.
„Vielleicht“, er hob mich am Kinn zu sich heran. „Kommen wir doch zusammen… Ich meine natürlich geschäftlich.“
Ich kniff die Augen zusammen, während er mich mit einem intensiven Blick musterte. Der hatte echt Nerven, jetzt solche Witze zu reißen. Allerdings hatte Lih ein recht überzeugendes Argument, welches er mir einem Blick durch das Fenster offenbarte. Auf der Straße stand ein großes schwarzes Reittier.
„Mein Rawist kann uns noch heute ins Lager der Garde bringen“, flüsterte Lih in mein Ohr. „Na, was sagst du?“
Skeptisch hob ich eine Augenbraue.
Das war eine Falle. Definitiv. Doch dieses Mal wartete Lih nicht, bis ich nach dem Haken fragte. Er nannte ihn sofort. „Du wirst dort aber nicht als falscher Junge aufkreuzen, sondern als falsche Blondine.“
An der Stelle fragte ich mich schon, ob ihm eigentlich bewusst war, wie absurd diese Forderung war. Ich meine wegen dieser Frau wurde das Lager doch erst errichtet. „Du willst, dass ich als Lillif ins Lager der Garde einmarschiere?“
Letzte Änderung durch Ama (Am 01.11.2022 um 13.34 Uhr)